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Mit Proptechs digitale Ökosysteme für die Immobilienbranche schaffen

Um Proptech wird in der Immobilienbranche in Zukunft kaum jemand herumkommen, doch wie bekommt man die nötige digitale Expertise ins eigene Unternehmen?

08. Dezember 2020

Die schnellen Veränderungen durch die digitale Transformation setzt Traditionsunternehmen aller Branchen immer mehr unter Druck. Nur mit kreativen Köpfen und innovativen Ideen können Unternehmen weiterhin erfolgreich agieren. Wenn auch die Immobilienbranche bisher nicht als Vorreiter im digitalen Wandel galt, sieht auch sie den Bedarf, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, das Kerngeschäft effizienter zu gestalten, sich von den Mitbewerbern abzuheben und im besten Fall als digitaler Vorreiter zu gelten. Die Corona Krise könnte als zusätzlicher Beschleuniger der Digitalisierung gesehen werden.

Während einige Unternehmen auf interne Innovationen setzen, nutzen andere die Zusammenarbeit mit Start-ups als Innovationsmotor. Proptechs stehen dabei für eine ganze Branche aus meist jungen Unternehmen, die sich mit digitalen Lösungen rund um die Immobilienwertschöpfungskette beschäftigen. Die grundlegende Technologieentwicklung, die anfänglich Einfluss auf die Immobilienbranche hatte, bezog sich vorwiegend auf Plattformen und Portale, speziell Online Marktplätze und Lösungen rund um die Immobilienvermarktung.

Dieses Spektrum hat sich mittlerweile erweitert. Proptechs bedienen sich heute an einer weit gefächerten technologischen Palette wie Künstlicher Intelligenz und Machine Learning, Robotics und Drohnentechnologien, Blockchain, 3D-Druck, Building Information Technologies (BIM) und dem Internet of Things (IoT). Die Jungunternehmer spezialisieren sich mit ihren Lösungen auf diverse Bereiche der Immobilienwirtschaft. Zu den Vermietungs- und Verkaufslösungen haben sich zum Beispiel sicheres Dokumentenmanagement, optimierte Immobilen-Bewirtschaftung für nachhaltige Energie-Effizienz, benutzerfreundliche Applikationen für die Immobilienverwaltung und -bewertung, Smart Home Lösungen sowie digitale Crowdfunding- und Portfolio-Management-Plattformen gesellt.

Auch in der Objektvermarktung selbst hat sich viel getan: Dort tummeln sich etwa Anbieter für die automatisierte Erstellung von 3D-Grundrissen, für virtuelle Besichtigungen oder das 3D-Rendering in der Außen- und Innenvisualisierung von Gebäuden. Die unterschiedlichen Technologien werden zudem häufig kombiniert.

Die Zielgruppen sind dabei so vielfältig wie die individuellen Lösungen: Ob Mieter, Vermieter, Kunde, Verbraucher oder Investor, für jeden gibt es innovative, nutzerzentrierte Proptech-Angebote. Dabei liegt der Fokus derzeit noch darauf, die Effizienz bestehender Kernprozesse zu steigern, mit dem Ziel, Kosten und Zeit einzusparen.

Einkaufen, aufbauen oder Partnerschaft?

Vielfältig sind auch die Formen der Zusammenarbeit von Proptechs und etablierten Immobilienunternehmen. Für Letztere geht es meist darum, ihr Business um neue Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Produkte zu erweitern. In anderen Fällen arbeiten beide Parteien an der Lösung eines definierten Problems. Solche Partnerschaften sind meist nicht exklusiv geschlossen und können in einigen Fällen eine CVC (Corporate Venture Capital) Investition beinhalten wie JLL SPARK. Die Vorzüge für die Start-ups liegen hier zum Beispiel darin, die eigene Sichtbarkeit zu steigern, neue Kunden zu gewinnen, das eigene Netzwerk zu erweitern, Skalierungseffekte umzusetzen und ganz klar natürlich auch, Umsatz zu generieren.

Andere Unternehmen setzen auf die Kooperation mit Proptechs, um Wachstum auf Gebieten zu generieren, die an ihr eigentliches Kerngeschäft angrenzen. In diesem Fall kann ein Start-up für seinen neuen Service, sein neues Produkt oder sein neues Geschäftsmodell erworben und als eigene Geschäftseinheit integriert werden.

Es gibt aber auch Firmen, die sich die disruptive Kultur der Start-ups zu Nutze machen, um ihr Kerngeschäft zu transformieren - wohl der mutigste und radikalste Weg. Solche Unternehmen wagen in der Partnerschaft mit Start-ups unter anderem, ihre Kultur zu überdenken und neue Arbeitsweisen zu implementieren.

Innovationsgeist lässt sich auf die unterschiedlichsten Arten im Unternehmen einbringen. Inkubatoren, die man selbst aufbaut, gegebenenfalls mit dem Ziel einer späteren Ausgründung, Innovation Labs oder Hubs in Kooperation mit internen Digitalexperten oder ein Accelerator, eine Art Trainingscamp, das Gründerteams die Opportunität bietet, Geschäftsideen auszubauen. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit ist im besten Fall eine Win-Win Situation für beide Seiten: Proptechs erhalten Zugang zu Märkten, Daten, Kunden und Branchenkenntnisse sowie die umfangreiche Erfahrung und das Renommee der großen Immobilienplayer. Die etablierten Unternehmen profitieren im Gegenzug von der Kreativität, Agilität, dem technologischen Wissen und den neuen Geschäftsmodellen der Proptechs.

Zu verschweigen ist allerdings nicht, dass die Zusammenarbeit von alter und neuer Welt nicht immer reibungslos abläuft. Auch wenn nach den ersten Erfolgen Euphorie und Freude überwiegen, gibt knapp die Hälfte der Unternehmen und Start-ups aus der DACH-Region an, dass ihre Erwartungen an die Partnerschaft nicht erfüllt wurden: Zeitzehrende Entscheidungsfindung und abweichende Erwartungen, nicht zuletzt an die Geschwindigkeit von Veränderungen, werden als die größten Hindernisse betrachtet.

Zudem bewerten Start-ups die Unfähigkeit traditioneller Unternehmen, ihre Denkweise hinsichtlich einer innovationsfreundlichen Kultur anzupassen, stark negativ. Die alteingesessene Unternehmen dagegen bemängeln bei den Start-ups vor allem fehlende Wertschätzung für den Partner, klare Steuerung und Governance.

Diese Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, sich schon von Beginn auf realistische Erwartungen und eine klar definierte Vision zum beidseitigen Nutzen zu verständigen.

Digital-Nachfrage wird sich nicht ignorieren lassen

Die Nachfrage innovativer Lösungen und neuer Geschäftsmodelle mit schlankeren und zeitersparenden Maßnahmen wird in Zukunft nicht abnehmen. Es zeigt sich beispielsweise ein hoher Bedarf bei der Verwaltung von Immobilien. Hier werden Mieter, Vermieter und auch Dienstleister vermehrt auf digitale Interaktionsmöglichkeiten und effizientere, transparentere Kommunikation zurückgreifen. Oder auf Systeme zur Dokumentenablage und -übertragung, die Arbeitsschritte vereinfachen, Kosten und Zeit sparen und einen echten Mehrwert für alle Beteiligten bringen. Digitale Datenerfassung bei der Bewirtschaftung von Immobilien gibt dem Eigentümer einen schnelleren Überblick und 24-Stunden-Zugriff auf alle wichtigen Livedaten seines Portfolios. Smart Home-Lösungen für Licht-, Wärme-, Luftfeuchtigkeitsregulierung oder Sicherheitssysteme, die bequem über eine App gesteuert werden, erfreuen sich ebenfalls einer immer größeren Nachfrage. Durch Covid-19 ist die digitale Vernetzung nicht mehr „Kann“, sondern „Muss“, um Prozesse im Home Office überhaupt weiterführen zu können.

Die Entwicklung von digitalen Ökosystemen spielt so auch in der Immobilienbranche eine immer wichtigere Rolle. Dabei schaffen Unternehmen ein Netzwerk und erzielen darüber  kooperativ für Kunden einen Mehrwert, der über das eigentlich angebotene Produkt oder die Dienstleistung hinausgeht. Das erweitert die Wertschöpfung. Spannend wird es vor allem, wenn sich Unternehmen aus verschiedenen Branchen auf diese Art zusammenschließen. Dazu muss Silodenken aufgebrochen werden, es bedarf Akteuren, die bereit sind, ausgetretene Pfade zu verlassen. Etwas anderes wird vielen Unternehmen auch kaum möglich bleiben, wenn sie nicht zu den Verlierern der Digitalisierung gehören wollen.