Vor der Europawahl: die Immobilienwirtschaft im europäischen Verbund
Ein Kommentar von Timo Tschammler, CEO JLL Deutschland
FRANKFURT, 09. Mai 2019 - Zunächst ist klar, dass grundlegende politische Rahmenbedingungen, wie etwa die Rechtssicherheit, auch für die Immobilienwirtschaft von höchster Relevanz sind. Hierzu leistet die EU einen wertvollen Beitrag, der ohne jeden Zweifel schützenswert ist. Auch der freie Kapitalverkehr, eines der Schlüsselelemente des EU-Binnenmarkts, ist für die Immobilienwirtschaft hilfreich. Er sichert den grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr und ermöglicht integrierte und effiziente europäische Finanzmärkte. Dies begünstigt sowohl grenzüberschreitende Transaktionen als auch die Kapitalbeschaffung.
Auch wenn ein unmittelbarer Nutzen der Europäischen Union für die Immobilienwirtschaft auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, nimmt die Europäische Union großen Einfluss auf die immobilienrelevante nationale Gesetzgebung. Ein nicht geringer Teil der deutschen Gesetze wird auf europäischer Ebene eingeleitet oder vorbereitet. Für all diese Vorhaben muss aus meiner Sicht abgewogen werden, ob rechtliche Verpflichtungen erforderlich, oder ob zum Teil nicht auch freiwillige Maßnahmen ausreichend sind.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Energie- und Klimaschutzpolitik mit den Teilbereichen der Energieeffizienzrichtlinie, der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Governance Verordnung. Die energiepolitische Gesetzgebung der EU hat insbesondere für die Wohnungswirtschaft unmittelbare Auswirkungen. Die Branche muss sich gerade in diesem Bereich den Herausforderungen stellen und ihrer klimapolitischen Verantwortung gerecht werden.
Selbstverständlich ist auch die Finanzmarktpolitik der EU für die kapitalintensive Immobilienbranche äußerst bedeutsam. Genannt sei hier nur die Zinspolitik, die bekanntlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Immobilienmärkte und insbesondere die Investmentaktivitäten nimmt.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist für die Branche ein weiterer bedeutsamer Aspekt. Der Mangel an Arbeitskräften in der Bauwirtschaft ist bekannt und kann, etwa mit Blick auf Projektentwicklungen, ein Hindernis darstellen. Hier kann die Freizügigkeit zumindest ein wenig Abhilfe schaffen.
Auch Nachhaltigkeitsaspekte finden in den EU-Vorhaben vermehrt Berücksichtigung. Der EU-Aktionsplan „Financing Sustainable Growth“ betrifft neben der Finanzwirtschaft ohne Zweifel auch den Immobiliensektor. Nicht ohne Grund befassen sich deshalb immer mehr Unternehmen, darunter auch JLL, verstärkt mit Nachhaltigkeit. In eigener Sache, aber auch in ihrer allgemeinen Geschäftstätigkeit.
Bei der Stadtentwicklung und Digitalisierung nimmt die EU ebenfalls Einfluss auf nationale Entscheidungen der Mitgliedsländer. Besonders letzteres, etwa in Form der Anbindung ländlicher
Gebiete an das Internet, kann erheblichen Einfluss auf die Stadtentwicklung und die Bevölkerungs-Mobilität nehmen. Äußerst wichtig sind auch einheitliche Maßnahmen zur Cybersicherheit und Künstlichen Intelligenz. Dies sind zweifellos Betätigungsfelder, in denen auf EU-, aber auch Länder-Ebene, eine erhöhte Aktivität wünschenswert wäre.
Neben den genannten Feldern könnte die EU aus meiner Sicht auch bei der europaweiten Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen mehr tun und diese gezielt fördern. Dies könnte dazu beitragen, das mitunter schlechte Image der Branche zu verbessern.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Gesetzgebung zur Geldwäscheprüfung. Hier sind auf EU-Ebene und in den Mitgliedsländern noch einige Schritte der Harmonisierung zu gehen, die dringend von der EU angestoßen werden sollten.
Last but not least ist die Lösung der Brexit-Problematik für das Wohlergehen der Immobilienbranche in Europa von entscheidender Bedeutung. London ist und bleibt einer der weltweit wichtigsten Immobilienstandorte und ein ungeregelter Brexit könnte nicht nur in Großbritannien für eine erhebliche Verunsicherung der Immobilienmarktteilnehmer sorgen. Diese wäre in der Folge ohne Zweifel auch auf dem deutschen Immobilienmarkt spürbar. Es ist deshalb wünschenswert, dass die EU ihren Beitrag leistet, um gemeinsam mit Großbritannien gangbare Wege aus der verfahrenen Situation zu finden.
Insgesamt zeigt sich, dass die EU Rahmenbedingungen setzt, die unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Immobilienbranche haben. Wie in der deutschen Politik zeigt sich dabei immer wieder, dass die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft unterschätzt wird oder gar gänzlich unberücksichtigt bleibt. Klar ist aber auch, dass Wünsche an die EU alleine nicht reichen. Letztlich geht es darum, in entscheidenden Feldern wie dem Klimaschutz Eigeninitiative zu zeigen und gleichzeitig an geeigneter Stelle Einfluss auf die relevanten Vorhaben der EU zu nehmen. Dies ist durch die einschlägigen Branchenverbände und deren Unterstützung durch die maßgeblichen Unternehmen aus meiner Sicht der Fall.