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Back to Base – wie der Trend zum Remote Working den Wohnsektor verändert

Wo Remote Working – bevorzugt von zuhause – immer selbstverständlicher wird, ist auch der Wohnungsmarkt herausgefordert. Was wird sich ändern beim Wohnen, wenn unsere Arbeitswelt hybrider wird?

12. Oktober 2020

Zukunftsfähigkeit bedeutet: Wir müssen Wohnen und Arbeiten an einem Ort gleichermaßen ermöglichen.

Sabine Eckhardt, CEO Central Europe, JLL

Fest steht, unser Arbeitsleben wird sich angesichts der Pandemie-Erfahrung noch schneller und noch stärker wandeln, als es das ohnehin schon getan hätte. Ob nun das Home Office – in den Branchen, wo das geht – zur bevorzugten Arbeitsstätte wird oder das Büroleben doch wieder mehr in den Fokus rückt – die Arbeitskultur wird und muss sich grundlegend ändern. Und mit ihr die Büros. Wo vorher noch viel Wert auf konzentriertes Arbeiten und Tisch-an-Tisch im Großraum gelegt wurde, wird es bald mehr auf Begegnung, Team und Austausch und die entsprechenden Flächen dafür ankommen. Das wird die Prämissen bei der Projektierung von Bürogebäuden genauso beeinflussen wie den dahinterstehenden Vermietungs- und Investmentmarkt. Doch bleibt der Wandel nicht in diesem Sektor stehen. Denn wo Remote Working – bevorzugt von zuhause – immer selbstverständlicher und akzeptierter wird, ist auch der Wohnungsmarkt herausgefordert.

Was wird sich ändern beim Wohnen, wenn unsere Arbeitswelt hybrider wird? Können oder sollten aus politischer wie auch städteplanerischer Sicht neue Weichen gestellt werden? Und wie löst man das Dilemma von Bezahlbarkeit und adäquatem Gewinn für Entwickler und Investoren, ohne die die Schaffung des so dringend benötigten Wohnraums nicht denkbar wäre?

Ein Grundriss fürs Wohnen und fürs Arbeiten

„Wenn das Heim auch Arbeitsplatz werden muss, müssen die Grundrisse veränderbar sein und ein Raum genauso gut als Büro wie als Esszimmer funktionieren“, sagt Lars von Lackum, CEO der LEG Immobilien AG. Der Wandel hin zur hybriden Arbeitswelt ist also definitiv auch eine Herausforderung für die Bauherren von Wohnprojekten und deren Architekten. Flexible Lösungen müssen her und auch mehr Platz oder besser gesagt Raum fürs Berufliche im neuen Heimalltag. Denn der wird bei Mietern, Anlegern wie auch Eigenbedarf-Kaufwilligen künftig nachgefragt werden. Heißt das dann auch, dass jede Wohnung jetzt roundabout 20 Quadratmeter größer werden muss? Nein. Denn mehr Fläche heißt im Umkehrschluss auch mehr Kosten und da hält Konstantin Kortmann, Head of Residential Investment bei JLL, 20 zusätzliche Quadratmeter für den Normalverdiener deutlich zu hoch und reduziert auf 10 bis 13 Quadratmeter. „Der Trend zu mehr Zimmern auf kleinerer Fläche – also weg von offenen Grundrissen und Penthäusern – war in den vergangenen Jahren im Neubau der deutschen Großstädte bereits deutlich und wird jetzt eher noch stärker“, so Kortmann. Letztlich laufe es auf eine Rückkehr zu den klassischen Grundrissen der 1950er-Jahre hinaus, in denen mehr aber dafür kleinere Zimmer eine höhere Flexibilität bieten und mal als Arbeitsplatz, mal als Gäste- oder doch zusätzliches Kinderzimmer genutzt werden können.

Aber flexibel allein – reicht das aus? Wer seine Tage vor allem daheim verbringt, muss sich ja letztlich noch wohler fühlen, als man das zuhause ohnehin schon möchte. Und dazu gehört vor allem der Zugang zu Freiflächen wie Balkon, Garten oder Dachterrassen. Kortmann: „Aber auch das hat zu 25 bis 50 Prozent einen Einfluss auf Mehrverbräuche, allerdings gibt es im Neubau momentan nur Mikroapartments ohne Balkon, beim normalen Neubau ist das mittlerweile eh zum Standard geworden.“ Über den Wohnungsrand hinaus sollten deshalb auch die Wohnviertel mehr als bisher Freizeit- und Komfortbedürfnisse erfüllen – dabei ist der Kinderspielplatz vor der Tür genauso wichtig wie die leistungsfähige Breitbandverbindung. Zum mehr Daheim zähle außerdem auch ein höherer Grad an Nachhaltigkeit, vor allem durch intelligente Energiespartechniken.

Von mehr Raum und Komfort zum Spagat zwischen Bezahlbarkeit und adäquatem Gewinn für Entwickler

Mindestens genauso wichtig – die neuen Anforderungen nach flexiblem Raum, Grünzugang und mehr Nachhaltigkeit müssen letztlich auch bezahlbar sein. Aber wie soll man bei mehr Komfort und guter Qualität sozialverträgliche Mieten erzielen? Klar ist, dass es vor allem darauf ankommt, mehr Wohnraum zu schaffen. Gefordert ist hier die Lokalpolitik mit der Aktivierung neuer Baugebiete, beschleunigter Genehmigungsverfahren und der Einführung und Durchsetzung von Förderquoten, Mittelstandsprogrammen und sozialer Infrastruktur wie Kitas und Schulen. Die stärkeren Auflagen und Verpflichtung von Entwicklern und Investoren, einen noch stärkeren Sozialwohnungsanteil zu schaffen, führen allerdings auch dazu, dass der verbleibende Teil an Eigentumswohnungen in den Projekten möglichst hochpreisig verkauft werden muss, um einen Gewinn zu realisieren, der dem Risiko entspricht. Das führt nicht nur zu einer weiteren Verteuerung und Verknappung, sondern auch dazu, dass sich Entwickler eher dem lohnenswerteren Bau von Büros widmen. Ganz klar ein Dilemma. Denn das zu Recht gesamtgesellschaftlich stark diskutierte Thema „Mehr bezahlbarer Wohnraum“ scheint so kaum lösbar.

Gerade deshalb ist es enorm wichtig, neue Wege zu gehen, die die Baukosten spürbar reduzieren. „Es kommt jetzt und in Zukunft darauf an, alles modular, digital und smart zu denken. Es muss eine intelligente Art der Projektentwicklung etabliert werden, die niedrige Baukosten und damit auch bezahlbare Mieten ermöglicht“, sagt Andreas Gräf, Vorstand der Instone Real Estate Group, und ergänzt: „Hinzu kommt, dass man beim geförderten Wohnen fast ausschließlich über Neubauten spricht. Dabei bietet auch der Bestand viel Potenzial für Verlängerungen über die ursprüngliche Laufzeit hinaus, was aber kaum genutzt wird.“ Auch die bestehenden Probleme im stationären Handel böten die Chance, die Innenstädte mit Blick auf Wohnen neu zu denken, leerstehende Flächen umzuwidmen, auf eine stärkere Mischnutzung zu setzen und so auch die Lebensqualität weiter zu erhöhen. Und, so Kortmann, sei für viele – vor allem auch größere – Unternehmen die Wohnraumversorgung ihrer Mitarbeiter wieder vermehrt ins Blickfeld gerückt. „Wir bekommen aktuell Anfragen aus München, aber auch Berlin und Frankfurt.“

Der weiter werdende Speckgürtel als Ausweg aus dem Dilemma?

Aber muss man in den Städten überhaupt noch bauen? Denn wer braucht noch Wohnungen in der City oder zumindest nah dran, wenn er nicht mehr so oft zwischen zuhause und der Arbeitsstätte pendeln muss? Löst also Corona nicht das städtische Knappheitsproblem quasi von selbst?

„Man muss hier zunächst ganz deutlich sagen, dass die Suburbanisierung, die jetzt von allen beobachtet wird, in den letzten Jahren bereits im Gange war – ohne Zutun von Covid“, sagt Kortmann. „München, Berlin und Frankfurt verlieren schon seit einigen Jahren netto gesehen ihre Bevölkerungen ans Umland.“ Das Interesse sowohl von Nutzern als aus Investoren höre jedoch da auf, wo das öffentliche Nahverkehrsnetz ende. Also seien auch hier die Städte und Umlandkommunen gefordert, den Stadtverband größer zu denken und das Netz entsprechend auszuweiten, wenn man den neuen durch Corona beschleunigten Remote Working Trend als Chance dafür nutzen will, die Innenstädte weiter und nachhaltig zu entlasten und neue interessante Kernmärkte für Nutzer wie Vermieter zu etablieren. 

Dennoch, so Lackum, werde die Sogwirkung der Städte auch weiterhin bestehen bleiben, da die nur hier in dieser Dichte stattfindende Durchmischung, kulturelle Vielfalt und Austausch für viele Menschen wichtig seien und auch blieben. Um genau das für die Zukunft zu erhalten, sei eine entsprechende Marktregulierung enorm wichtig.