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Silvio Gesell, das „Schrumpfgeld“ und die Immobilienwirtschaft

Für den Finanztheoretiker Silvio Gesell war Geld ein Tauschmittel, nichts anderes. Ein Blick auf seine Ideen vor dem Hintergrund des aktuellen EZB-Kurses.

31. Juli 2019

Vor nur einigen Wochen jubelten zumindest in den USA die Börsianer und der Dow Jones hüpfte vergnügt auf einen neuen Höchststand. Denn Fed-Chef Jerome Powell stellte eine Zinssenkung in Aussicht. Wieder einmal. Und auch in Europa dürfte die Nullzinspolitik der EZB ihre Fortsetzung finden. Aktuelle Zinsbeschlüsse hat Mario Draghi zwar Ende Juli nicht verkündet, doch alle Zeichen sprechen mehr als deutlich für eine Fortsetzung des bisherigen Kurses. Zumal Christine Lagarde, die designierte neue EZB-Chefin, wie Draghi als Fan einer lockeren Geldpolitik gilt.

Rückkoppelung an die Realwirtschaft

Niedrigzins, Minuszinsen gar – Sparer und Banken ächzen, Schuldenstaaten jubeln. Das Geld koppelt sich immer weiter von der Realwirtschaft ab.

Wie eine mögliche Rückkoppelung funktionieren kann, hat bereits vor rund 100 Jahren Silvio Gesell vorgeführt. Gesells Rückkoppelung hat System und begründet eine „natürliche Wirtschaftsordnung“ (NWO), eine Marktwirtschaft ohne Kapitalismus, wie Günter Bartsch die Gesellsche Geldphilosophie auf den Punkt brachte.

Neues Verständnis des Geldzwecks

Als erster Journalist in der Immobilienpublizistik überhaupt hat Richard Haimann in „Immobilienwirtschaft“ auf Silvio Gesells Lehre verwiesen. Unter dem Titel „Mit Schuldenmachen Rendite erzielen“ schreibt er: „Geld sollte an Wert verlieren, wenn es für längere Zeit gehalten wird, um so die Menschen zum Konsum anzuregen und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.“

In der Tat impliziert der Kerngedanke des Finanztheoretikers Gesell ein neues Verständnis des Geldzwecks. Das Geld sei Tauschmittel, nichts anderes. Es solle den Austausch der Waren erleichtern, die Schwierigkeiten des Tauschhandels umgehen. Deswegen will Gesell „das Geld als Ware verschlechtern“, damit es als Tauschmittel verbessert wird: „Da die Besitzer der Waren es mit dem Tausch stets eilig haben, so will es die Gerechtigkeit, dass auch die Besitzer des Tauschmittels es eilig haben sollen. Das Angebot steht unter unmittelbarem eigengesetzlichem Zwang, so soll auch die Nachfrage unter gleichen Zwang gestellt werden.“

Investoren und Nutzer von Immobilien

Die Konsequenz? Gesells „Freigeld“ verliert wöchentlich ein Tausendstel an Zahlkraft und zwar auf Kosten der Inhaber. Profiteure dieses „Schrumpfgeldes“, wie es ironisch bezeichnet wurde, seien diejenigen, die entweder konsumieren oder aber nicht zuletzt in realwirtschaftliche Werte investieren – in Immobilien, Häuser und Mietshäuser. Nur diese Investitionen böten Sicherheit gegen unmittelbaren Verlust.

Gesell zufolge sei es gar nicht nötig, dass Immobilien in seiner „Freigeld“-Ordnung Zins abwürfen. Denn Immobilien an sich seien nach Einführung des Freigeldes für alle Sparer das beste Aufbewahrungsmittel für Ersparnisse überhaupt: „Indem die Sparer die Überschüsse in Häusern anlegen, die keinen Zins eintragen, wohl aber sich in Abschreibungen wieder auflösen, sparen sie die Kosten der Wartung und Lagerung dieser Überschüsse, und zwar vom Tage an, wo der Überschuss gemacht wurde…“ Und der läge speziell bei Immobilien in Jahrzehnten.

Aber auch der Mieter profitiert vom Freigeld. Zu seiner Zeit rechnete Gesell die Monatsmiete mit 25% des Einkommens. Reduziert sich der Zins, reduziert sich proportional auch die Wohnungsmiete – 4 bis 16 % des Reallohns – allein am Hauszins.

Hoheitliche Aufgabe des Staates

Eine Geldpolitik allerdings unabhängig von staatlicher Regulierung wäre Gesell nie in den Sinn gekommen. Denn Geldpolitik war für ihn eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Zumindest einer politisch ambitionierten EZB-Präsidentin, wie Frau Lagarde zweifellos eine sein wird, dürfte Gesells Lehre somit in die Karten spielen.

Selbst John Maynard Keynes konnte sich für Gesells Ideen durchaus erwärmen. „Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird“, schrieb er in seinem Hauptwerk. Mehr noch: Vielleicht lernt die Zukunft sogar mehr von Gesell als von John Maynard Keynes himself…

Und last not least ließ sich Albert Einstein folgendermaßen vernehmen: Die Schaffung eines Geldes, das sich nicht horten läßt, würde zur Bildung von Eigentum in wesentlicherer Form führen...

Na also.