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Wie sich Shopping Center neu erfinden, um ihren Platz im Einzelhandel zu sichern

Einkaufszentren müssen sich heute in einer Welt behaupten, in der Verbraucher:innen mehr erwarten als nur die Gruppierung verschiedenartiger Geschäfte „unter einem Dach“. „Schaufensterbummeln“ und „Nach-Ideen-suchen“ kann man heute online von der Couch aus.

21. April 2024

Digitalisierung und das veränderte Einkaufsverhalten der Menschen, rütteln an den Grundfesten der der einst geliebten traditionellen Shopping Malls: ein Ausflug, – und alle Einkäufe erledigt. Heute müssen sich Einkaufszentren jedoch in einer Welt behaupten, in der Verbraucher:innen mehr erwarten als nur die Gruppierung verschiedenartiger Geschäfte „unter einem Dach“. „Schaufensterbummeln“ und „Nach-Ideen-suchen“ kann man heute auch online von der Couch aus. 

Um den Einzelhandel in Schwung zu halten und konkret Einkaufszentren wieder zu beleben, braucht es Ideen, die die „neuen“ Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden ansprechen – und Flair. Denn Handel kann nur dort stattfinden, wo sich Menschen gerne aufhalten. Der Schlüssel zur erfolgreichen Transformation im Einzelhandel liegt im Fokus auf die Nutzer-Perspektive.

Der Einzelhandel und erstrecht die Einkaufszentren müssen zu einem integralen und belebten Teil des öffentlichen Lebens werden. Wenn es den „schlafenden Riesen“ nicht gelingt, sich neu zu erfinden und zu multifunktionalen Orten zu transformieren, die den heutigen Zeitgeist, die Wünsche der Konsumenten oder den Bedarf der Gesellschaft widerspiegeln, werden sie zu Geistergalerien. Die folgenden Beispiele zeigen auf, wie einige Einkaufszentren durch Neugestaltung und innovative Ansätze diesen neuen Erwartungen gerecht werden und für Kunden wieder attraktiv und relevant geworden sind.

Die Vision von multifunktionalen Begegnungsstätten – ein paneuropäischer Trend?

Die Kings Mall im Londoner Stadtteil Hammersmith war einst Musterbeispiel für die Herausforderungen, mit denen herkömmliche Einkaufszentren konfrontiert waren: Unterbelegung und Besucherzahlen weit unter dem vorpandemischen Niveau. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten und der Investition von etwa 200 Millionen Euro, die durch Ingka Centres, die Immobilienabteilung von IKEA, durchgeführt wurden, hat das Einkaufszentrum ein neues Gesicht erhalten und trägt nun den Namen Livat Hammersmith. Der Schwerpunkt liegt nun auf der Förderung sozialer Interaktionen. Das Zentrum soll ein dynamischer Treffpunkt für Anwohnende, Arbeitskräfte und Besuchende sein, wo sie sich treffen, essen, einkaufen und austauschen können.

Mit einer Gesamtfläche von ca. 27.000 Quadratmetern bietet das Zentrum eine breite Palette an Angeboten und Aktivitäten. Neben dem ersten IKEA-Kleinformatladen in Großbritannien gibt es einen großen Lebensmittelmarkt, Einzelhandelsgeschäfte, Restaurants, Unterhaltungsstätten und Außenbereiche zum Entspannen.

Diese Neugestaltung der Kings Mall ist ein herausragendes Beispiel für die Transformation des traditionellen Einzelhandelskonzepts in Europa. Der Trend geht inzwischen weit über das einfache Einkaufen hinaus hin zu multifunktionalen, gemeinschaftlich genutzten Orten. „Der Wandel hin zum Erlebniseinzelhandel hat sich schon seit Jahren abgezeichnet, aber jetzt sehen wir tatsächlich, wie er an vielen Orten in Europa Fahrt aufnimmt”, sagt Sandra Ludwig, EMEA Head Retail Investment bei JLL. „Es beginnt eine neue Ära für das stationäre Geschäft.” 

Nicht weit flussabwärts, an der Südseite der Themse, wurde das lange Zeit aufgegebene, aber ikonische Gelände rund um das Kraftwerk Battersea wiederbelebt. Heute beheimatet es eine lebendige Mischung aus Einzelhandel, Lebensmittel und Getränkeangeboten, Wohnräumen sowie Gesundheits- und Wellnesszentren – und sogar touristischen und Unterhaltungseinrichtungen.

Auch das „The Niu Hide” in Berlin ist ein deutsches Beispiel für diese neue Entwicklungsrichtung im Einzelhandel. Es ist das weltweit erste Hotel, das auf dem Dach eines Einkaufszentrums, dem Ring-Center II an der Frankfurter Allee, errichtet wurde. Diese ungewöhnliche Kombination aus Hotel und Einkaufszentrum stellt eine spannende Neuausrichtung und Umnutzung der vorhandenen Shopping Center-Immobilie dar, eine urbane Nachverdichtung der anderen Art. Durch die Zusammenarbeit zwischen dem Hotelprojektentwickler MQ Real Estate und der ECE, dem Betreiber des Einkaufszentrums, konnte das ungewöhnliche Konzept realisiert werden. Die Verbindung von Einzelhandel und Hotel eröffnet auch neue Möglichkeiten für die Entwicklung urbaner Räume und stellt eine innovative Antwort auf die Herausforderungen der Flächenknappheit in Städten dar. Das The Niu Hide könnte damit als inspirierendes Beispiel für ähnliche Projekte in anderen Städten dienen, bei denen eine erfolgsversprechende Verbindung von Einkaufszentrum und Hotel neue Möglichkeiten bietet.

Nicht weit entfernt – wurde „The Playce“ in Berlin, vormals bekannt als Potsdamer Platz Arkaden, nach umfangreichen Sanierungsmaßnahmen 2022 neu eröffnet. Das Konzept sieht das Center als Vergnügungsfläche für alle Altersgruppen. Refokussiert auf einen interaktiven Treffpunkt, bietet dieses „neue“ Einkaufszentrum nun ein „Einkaufsparadies der Superlative“ mit 90 Geschäften, 22 Gastronomieeinheiten, drei Bars – und ein Videospiel-Paradies der besonderen Art. The Playce hat auch ein „Food-Hub-Konzept“ eingeführt, das lokale Berliner Food-Start-Ups und Sternküchen mit kulturellen und Lifestyle-orientierten Veranstaltungen sowie Bildungs- und Unterhaltungsprogrammen zusammenbringt. Mit dieser breit gefächerten Palette von Angeboten soll The Playce verschiedene Zielgruppen ansprechen – Touristen, nahegelegene Büroangestellte und Anwohnende. Die meisten Geschäfte haben bereits in ihrem neuen Look eröffnet.

Auch in Weiterstadt, nahe Frankfurt am Main, hat sich das „Loop5“ neu erfunden, eine zukunftsorientierte Strategie entwickelt und ein außergewöhnliches, innovatives „Retailtainment“-Konzept umgesetzt: die Verknüpfung von Einzelhandel (Retail) mit Unterhaltung, Genuss und Service (Entertainment). Fesselnde Attraktionen für Menschen aller Altersgruppen, in insgesamt fünf Erlebnisbereichen über die vier Centerebenen verteilt, werden den heutigen anspruchsvollen Verbraucherinnen und Verbrauchern gerecht – und schaffen eine Verknüpfung von Retail und Entertainment. Damit hat das Loop5 es geschafft, zu einer begehrten Destination für Einkaufs- und Unterhaltungserlebnisse werden.  

Frankreich hat den neuen Ansatz gleichermaßen gut aufgenommen. Das „La Part-Dieu“ in Lyon – Europas größtes Innenstadteinkaufszentrum – wurde weitreichend saniert und wurde um mehr als 325.000 Quadratmeter gewerbliche und öffentliche Flächen erweitert, darunter ein Kinokomplex, eine hochmoderne Kletteranlage, hängende Gärten auf dem Dach, 80 neue Geschäfte und Restaurantflächen. „Freizeit und Gastronomie sind zu einem wichtigen Teil des Einkaufserlebnisses geworden“, sagt Ludwig. „Es ist wirklich wichtig, sowohl drinnen als auch draußen Räume zu schaffen, in denen die Menschen sich entspannen und miteinander kommunizieren können.“

Auch andere Entwickler konzentrieren sich gleichzeitig auf Veränderungen in der Arbeitswelt, die durch die Pandemie beschleunigt worden sind. Carrefour Property, der größte Besitzer von Einkaufszentren in Spanien, setzt stark auf diesen Wandel mit ihrem Work City-Konzept, das eine Mischung aus neuen Co-Working-, Freizeit-, Gastronomie- und Einkaufseinrichtungen in ihren 115 Zentren in Spanien einführen wird. Die Pilotentwicklung des Programms in Puerta de Alicante revitalisiert das Zentrum zu einer Mischung aus flexiblen Büroflächen, Einzelhandelsgeschäften und Restaurants, die sich über drei Etagen verteilen.

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Mit unkonventionellen Lösungen die Zukunft vom Einzelhandel gestalten

„Wir müssen uns ständig fragen, wie wir besser auf die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden eingehen können“, betont Ludwig. „Bedeutet das, Angebote wie mentale Gesundheitsdienstleistungen, große Spielplätze, eine Bibliothek oder eine Schwimmschule einzubeziehen? Wie können wir die Routinen der Menschen integrieren, um ein Vermächtnis für die Zukunft zu schaffen?“

Die Transformation des Einzelhandels durch die Einbeziehung der Alltagsbedürfnisse der Kunden und die Schaffung vielseitiger, gemeinschaftlicher Räume scheint sich als erfolgreiches Modell zu erweisen. Die Zukunft des Einzelhandels liegt möglicherweise in diesen neu gestalteten Einkaufszentren, die weit mehr bieten als nur die Möglichkeit zum Einkaufen.

Shopping Center wie stationärer Handel haben dann eine Zukunftschance, wenn sie sich neu erfinden. Unternehmen und Systeme müssen zukunftsfähig gemacht werden: Dabei geht es sowohl um die Digitalisierung von Prozessen und Lieferketten sowie den Einsatz intelligenter Systeme als auch um die konsequente Verbesserung von Einkaufserlebnissen am Point of Sale. „Dies erfordert mitunter umfangreiche Investitionen und einen langen Atem. Aber es wird sich lohnen, wenn jetzt damit begonnen wird“, prognostiziert Ludwig.

Sandra Ludwig Head of Retail Capital Markets, EMEA

Sarah Hoffmann Head of Retail Investment Germany

Josefine Ulrich Director EMEA Retail Leasing Strategy & Operations