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Wohnungspolitik nach der Wahl: Wohin steuert die Republik?

Deutschland und Berlin haben gewählt, aber nicht erst seit dem Wochenende der Bundestagswahl steht die Hauptstadt im Fokus der Akteure auf dem deutschen Wohnungsmarkt.

01. Oktober 2021

Mit der Enteignungsdebatte, kommunalen Rückkäufen und der Initiative für eine bundesweite Mietpreisdeckelung war die Liste der wohnungspolitischen Signale aus Berlin in der jüngsten Vergangenheit lang.

So ist es nicht verwunderlich, dass viele Akteure der Wohnungswirtschaft im Vorfeld der Bundestagswahl und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus eine weitere Verschärfung der wohnungspolitischen Rahmenbedingungen befürchteten. Entsprechend groß war aber auch die Erleichterung darüber, dass eine Regierungskoalition nach dem Berliner Modell („Rot-Rot-Grün“) im Bundestag keine Mehrheit finden konnte. Da konnte auch das Enteignungsvotum dieser zuversichtlichen Stimmung keinen Abbruch tun.

Enteignungsvotum mit geringen Chancen

Obwohl mit 56,4 Prozent eine Mehrheit der Berliner Wählerinnen und Wähler im Votum über die Enteignung von Immobilienkonzernen mit einer Mindestgröße von 3.000 Wohnungen gestimmt hat, wird die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Beschluss letztlich eins zu eins umgesetzt wird, als sehr gering eingeschätzt. Neben den hohen verfassungsrechtlichen Bedenken ist das Votum nicht rechtsverbindlich und die SPD hat sich als Wahlsiegerin bereits gegen Enteignungen ausgesprochen, auch wenn aus Respekt vor dem Votum ein Gesetzentwurf verfassungsrechtlich geprüft werden soll. Die Reaktion der Anleger ließ nicht lange auf sich warten. So stieg der Aktienkurs von Vonovia in der Spitze am Tag nach der Wahl um bis zu vier Prozent.

Dennoch spiegelt dieser Volksentscheid deutlich die Stimmung auf dem Berliner Wohnungsmarkt wider. Der wohnungspolitischen Agenda in Berlin fehlt seit Jahren eine klare Leitlinie. Die Enteignungsdebatte trägt zur Verunsicherung bei und könnte dazu führen, dass Investitions- und Modernisierungsentscheidungen verschoben oder sogar ganz gestoppt werden. Dies hätte nicht nur Auswirkungen auf die langfristige Bewirtschaftung der betroffenen Immobilien, sondern wäre auch ein fatales Signal für den privaten Wohnungsneubau, der in den letzten Jahren über 90 Prozent der Fertigstellungen ausmachte und auch in Zukunft dringend benötigt wird.

Und nachdem das Berliner Abgeordnetenhaus versucht hat, den gescheiterten Mietendeckel über eine Bundesratsinitiative auf Bundesebene durchzusetzen, setzt Berlin mit dem Rückkauf von Wohnungsbeständen ein weiteres deutliches Signal. Im September 2021 kaufte das Land rund 14.750 Wohnungen von den börsennotierten Wohnungsunternehmen Deutsche Wohnen und Vonovia für rund 2,46 Milliarden Euro zurück. Die Bestände aus dieser Transaktion gehen an die landeseigenen Wohnungsunternehmen Howoge, Berlinovo und Degewo und werden ebenfalls ausschließlich durch Kredite der landeseigenen Wohnungsunternehmen finanziert. Geld, das vielleicht besser in den Neubau investiert worden wäre, zumal die Bestände auch im Nachhinein hohe Sanierungskosten verursachen werden.

Angesichts des Wahlergebnisses ist eine Fortsetzung dieser Politik sehr wahrscheinlich, eine Verschärfung jedoch unwahrscheinlich. Auch aufgrund des Wahlergebnisses auf Ebene des Bundes, den man aufgrund der Gesetzgebungskompetenz etwa für einen bundesweiten Mietendeckel bräuchte.

Moderater wohnungspolitischer Kurs auf Bundesebene zu erwarten

Auch wenn die Bundestagswahl keinen klaren Sieger hervorgebracht hat, erwarten viele Marktteilnehmer nun einen moderateren wohnungspolitischen Kurs auf Bundesebene. Nicht nur die SPD, sondern auch die CDU/CSU unterstreichen ihren Führungsanspruch in einer neuen Regierungskoalition. Die wahrscheinlichsten Regierungsbündnisse sind die „Ampel“- oder „Jamaika“-Dreierkoalitionen unter Führung der SPD bzw. der CDU/CSU. Sowohl die Grünen als auch die FDP, beide mit starken Wahlergebnissen, wären damit garantiert Teil eines neuen Regierungsbündnisses und in einer günstigen Ausgangs- und Verhandlungsposition. Nicht zuletzt, weil eine Fortsetzung der großen Koalition von beiden jetzigen Regierungsparteien gegenwärtig kategorisch ausgeschlossen wird.

Allerdings werden die Koalitionsverhandlungen den beteiligten Parteien ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft abverlangen. Denn unter anderem bei den wohnungspolitischen Konzepten sind deutliche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zu erkennen:

Während die Grünen für eine Verschärfung der Mietpreisregulierung eintreten, zum Beispiel für eine Ausweitung und Verschärfung der Mietpreisbremse, spricht sich die FDP für eine grundsätzliche Abschaffung der Mietpreisbremse und der Kappungsgrenzen aus. Ähnlich stark ist der Kontrast im Bereich des sozialen Wohnungsneubaus: Während die FDP vornehmlich die finanzielle Unterstützung einkommensschwacher Haushalte über das Wohngeld, das heißt über Subjektförderung, stärken will, wollen die Grünen den Bestand an Sozialwohnungen deutlich ausbauen. So sollen innerhalb von zehn Jahren eine Million neue Sozialwohnungen auf überwiegend bundeseigenen Flächen gebaut werden.

Angesichts dieser Gegensätze ist zu erwarten, dass ein Kompromiss im Bereich der Mietpreisregulierung nicht allzu viele Änderungen an der derzeitigen Situation mit sich bringen wird. Stattdessen dürften beide Parteien eher auf Gemeinsamkeiten setzen: Wohnungsneubau und Digitalisierung in der Bauwirtschaft. Hier liegen die großen Chancen für eine neue Regierungsbildung unter Beteiligung von FDP und Grünen.

Chancen für Digitalisierung und flexiblere Bürokratie

Nicht nur die Grünen, sondern auch die FDP fordern eine digitale Reform des Bauwesens, zum Beispiel durch die Einführung eines digitalen Bauantrags. Eine ernsthafte Reform könnte Genehmigungsverfahren beschleunigen und bürokratische Hürden abbauen, was den Wohnungsneubau und den Ausbau im Bestand bundesweit deutlich beschleunigen und intensivieren würde.

Im Rahmen der „Wohnraumoffensive“ wurde für das Ende der auslaufenden Legislaturperiode ein Ziel von insgesamt 1,5 Millionen neuen Wohnungen (rund 375.000 neue Wohnungen pro Jahr) proklamiert. Aller Voraussicht nach wird dieses Ziel bis zum Ende der Legislaturperiode mit schätzungsweise 1,2 Millionen neuen Wohnungen nicht erreicht werden, auch wenn die Zahl der Fertigstellungen in den vergangenen  Jahren sukzessive gesteigert werden konnte (im Jahr 2020 waren es mit 306.000 neuen Wohnungen rund 4,6 Prozent mehr als im Vorjahr).

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Neben langwierigen Genehmigungsverfahren, mangelnden und schrumpfenden Personalkapazitäten in den Ämtern sowie komplexen Bauvorschriften wurde politische Handhabe auch zu häufig auf die kommunale Ebene abgewälzt. Teile des im Juni 2021 verabschiedeten Baulandmobilisierungsgesetzes, das eine flexiblere Planung und schnellere Verfahren ermöglichen soll, sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung, kommen aber viel zu spät und greifen insgesamt zu kurz. Hier könnten weitere Reformen und die Digitalisierung vieler Prozesse helfen, dem Wohnungsneubau neuen Schwung zu verleihen. Auch wenn zunächst keine großen Effekte zu erwarten sind, könnte die Angebotsseite langfristig schneller und flexibler auf die neue Nachfrage reagieren.

Ein Impuls, der auch helfen würde, eine gemeinsame Linie in Bezug auf die Klimaziele im Wohnungsbestand zu finden. Denn während sich beide Parteien klar für das Erreichen der Klimaziele aussprechen, liegen sie beim Weg dorthin noch deutlich auseinander. 

Und hier sind die Herausforderungen besonders groß. Neben dem Bedarf an Wohnungsneubau gibt es angesichts des Wohnungsbestandes auch einen erheblichen Sanierungs- und Ersatzbedarf. Damit sind kurz- und mittelfristig hohe Bauinvestitionen erforderlich. Insbesondere die Baualtersklassen, die sich in der Nachnutzungsphase ihres Lebenszyklus befinden, haben aufgrund geringerer Bauqualitäten einen deutlich höheren Modernisierungs- und Sanierungsbedarf. Vor allem  unter energetischen Gesichtspunkten ist der Modernisierungsbedarf in diesem Alterssegment, das auch einen großen Anteil am gesamten Wohnungsbestand ausmacht, hoch. Aber vielleicht bringt hier die Symbiose der Kernkompetenzen beider Parteien genau den Ansatz, der für diese anspruchsvolle Aufgabe notwendig ist.

Eine Hoffnung, die sich auch für die wohnungspolitische Leitlinie als Ganzes ergibt: Die kleinteilige und in vielerlei Hinsicht überbürokratisierte Wohnungspolitik zu beenden und stattdessen ein nachhaltiges kooperatives Handlungskonzept zu entwickeln, das den Herausforderungen einer sich strukturell verändernden Gesellschaft, Klimawandel und nachhaltiges Wohnen, gleichermaßen Rechnung trägt und von politischer Seite ordnungspolitisch begleitet wird.

Dr. Sören Gröbel,Director Research
Dr. Sören Gröbel
Director Research
Roman Heidrich,Lead Director Value & Risk Advisory Residential
Roman Heidrich
Lead Director Value & Risk Advisory Residential

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