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Zwischen Klima und Preisbindung: ESG in der Wohnwirtschaft

ESG-Kriterien werden auch für Wohnimmobilien immer entscheidender. Die Anforderungen steigen, nicht zuletzt in der sozialen Frage: Wie kann es gelingen, Klimaschutz und bezahlbaren Wohnraum zu vereinbaren?

22. März 2021

Nachhaltigkeit wird zu einem Kriterium, das Investoren in der EU immer ernster nehmen müssen. 2021 und im Folgejahr kommen zwei entscheidende Regulierungen zur Anwendung, die für Finanzierer und damit die Entwickler von Wohnimmobilien höchst relevant werden dürften: Die EU-Verordnungen 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Offenlegungsverordnung) und 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (Taxonomie-Verordnung).

Die Offenlegungsverordnung legt für die meisten Finanzierungsakteure ab März 2021 umfassende Berichtspflichten für die Nachhaltigkeitsrisiken von Investments fest. Die 2022 folgende Taxonomie-Verordnung macht umfangreiche Vorgaben für die Bewerbung nachhaltiger Finanzprodukte. Dabei orientiert sie sich an sechs Kategorien wie Vermeidung von Klimarisiken und Umweltverschmutzung oder Bestrebungen für besseres Recycling und Abfallvermeidung. Insgesamt wird von den Finanzierern also erheblich mehr Transparenz als in der Vergangenheit gefordert, speziell dann, wenn sie mit nachhaltigen Produkten werben.

Gesellschaftliches Klima fordert Umweltverträglichkeit

Indirekt werden damit auch Entwickler von Wohnimmobilien in die Pflicht genommen, die ohnehin stetig steigende nationale Normen der Energieeffizienz erfüllen müssen. „Nachhaltigkeit ist zu einer der zentralen Herausforderungen für die Entwicklung von Wohnimmobilien geworden. Dazu tragen einerseits die zahlreichen Vorschriften bei, andererseits aber auch ein gesellschaftliches Klima, das von der Immobilienwirtschaft mehr Engagement, nicht nur für Umweltverträglichkeit, einfordert. Diesen Megatrend zu ignorieren ist ein Risiko, das sich Investoren wie Entwickler schlichtweg nicht mehr leisten können“, erklärt Michael Bender, JLL Head of Residential Germany.

In dieser Entwicklung stecken Chancen für die Immobilienwirtschaft, nicht zuletzt, da die öffentliche Hand nachhaltige Wohnimmobilien umfangreich fördert, zum Beispiel über Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). So lässt sich etwa für den KfW 55-Standard bereits ein zinsgünstiges Darlehen mit einem Tilgungszuschuss von 15 Prozent, maximal 18.000,- Euro je Wohneinheit, erhalten. „Solche Fördermaßnahmen der KfW können auch im Bereich der gewerblichen Immobilienentwicklung beantragt werden und ermöglichen so eine Projektentwicklung zu attraktiven Konditionen – und damit in Folge bezahlbaren, klimaschonenden Wohnraum“, so Klaus Platen, JLL Team Leader Residential Investment in München.

Stabiler Cashflow mit preisgebundenem Wohnungsbau

Der Klimaschutz ist aber nur ein Aspekt der ESG-Kriterien, die zunehmend die Immobilienwirtschaft durchdringen. Die Mietpreisdebatte in den urbanen Zentren ist längst eine der zentralen politischen Fragen geworden. Bezahlbarer Wohnraum lautet die Forderung in nahezu allen Großstädten des Landes. Die stellenweise sehr aufgeheizte gesellschaftliche Debatte hat sogar dazu geführt, dass manche Investoren den Living-Bereich mit gehörigem Respekt betrachten, aus Scheu vor Reputationsrisiken.

Der preisgebundene Wohnungsbau dagegen ist ein Feld, das Investitionen mit gesellschaftlichem Rückenwind verspricht. Vielerorts ist dies aber ohnehin eine rein theoretische Frage. „Gerade in den Ballungszentren werden Neuentwicklungen fast ausschließlich nur mit einem Anteil preisgebundener Wohneinheiten bewilligt“, so Bender. Für Investoren seien diese Objekte durchaus attraktiv, über die Image-Frage hinaus. „Stabiler Cashflow, so gut wie keine Leerstände und eine tendenziell lange Verweildauer der Mieter machen solche Immobilien zu einer Anlage mit hoher Sicherheit – auch wenn dieses Argument in Zeiten des allgemeinen Wohnraummangels zugegeben etwas an Strahlkraft verloren hat.“

Und gerade für Anleger, die sehr langfristig denken, werden diese Objekte durch den späteren Wegfall der Preisbindung zu einem attraktiven Investment. „Investoren, deren Perspektive sich mehr auf Jahrzehnte denn auf Jahre erstreckt, etwa Family Offices, erweitern ihr Portfolio so mit erheblichem Wertsteigerungspotenzial“, erklärt Platen.

Michael Bender

Head of Residential Germany