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Schnelligkeit siegt: Wie Gorillas, Flink & Co. den Lebensmittelmarkt erobern wollen

In Deutschland hatte die Online-Bestellung von Lebensmitteln früher eher geringe Akzeptanz, die Pandemie hat das geändert. Doch wie die Umsätze steigen auch die Kundenerwartungen: Ist Quick Commerce die Antwort?

18. Mai 2021

Quick Commerce, kurz Q-Commerce, ist in Deutschland angekommen. Man sieht sie immer häufiger in deutschen Städten: Die Auslieferfahrer der Lebensmittellieferdienste, meist auf ihren E-Bikes, die sich nur durch die unterschiedlichen Farben und Logos ihrer Firmenbekleidung unterscheiden. Begonnen hat dieser Trend in den vergangenen Jahren in den Metropolen Asiens und Amerikas. Zu einem Vorreiter dieser Entwicklung wurde das deutsche DAX Unternehmen Delivery Hero, das unter der Marke Panda den Markt in Asien dominiert.

Gerade in Zeiten von Corona schießen die Start-Ups für Onlinelieferdienste natürlich wie Pilze aus dem Boden. Lag der Umsatz für Lebensmittel aus dem Internet in den vergangenen fünf Jahren bei bescheidenen Anteilen von 1 bis 1,4 Prozent, erreichte er im Pandemiejahr 2020 2 Prozent. Das klingt bei einem Marktvolumen von 139,4 Mrd. Euro immer noch vergleichsweise mager. Sieht man sich aber die Zahlen genauer an, bedeutet das für den E-Food-Umsatz einen Anstieg von 1,6 Mio. (2019) auf 2,7 Mio. Euro (2020). Das entspricht einer Umsatzsteigerung von satten 70 Prozent. Mit Blick auf die beiden führenden Branchen im Onlinehandel, Textil/Accessoires und Home Electronic, die bereits ca. 30 bzw. 34 Prozent ihres Umsatzes online generieren, sieht man, wie viel Potenzial noch im Food-Segment steckt.

Das Angebot der Onlinelieferdienste reicht von den Shops der klassischen Lebensmittelanbieter wie Rewe, Bringmeister (Edeka), Kaufland (vormals Real), Getnow (Metro) bis hin zu reinen Onlinehändlern wie Picnic, Amazon Fresh oder Food.de. Sämtlichen Lieferdiensten ist gemein, dass sie, bis auf den Platzhirschen Rewe, nur ein sehr begrenztes Liefergebiet haben. Fast alle bieten mittlerweile Same-Day-Delivery an, doch es zeigt sich, dass dieser Service allein nicht mehr ausreicht, um die Kunden zufriedenzustellen.

Picnic war einer der ersten Anbieter, die mit einem Lieferzeitfenster von 20 bis 30 Minuten warben und eine minutengenaue Zustellung garantierten. Genau hier setzt das Versprechen der Q-Commerce-Unternehmen wie Gorillas, Flink, Grovy oder Bring an: Die Auslieferung eines begrenzten Sortiments an Supermarktartikeln innerhalb eines Zeitfensters von 10 bis 30 Minuten. Dahinter steht eine intelligente Software, die den Kundenbedarf vorhersagen soll, so dass im Lager immer vorhanden ist, was nachgefragt wird.

Der Wareneinkauf erfolgt möglichst ohne Zwischenhändler, die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten wird bevorzugt. „Um ihre Lieferversprechen einzuhalten, übersäen die Unternehmen die deutschen Innenstädte mit Last Mile Hubs, also kleinflächigen, zentral gelegenen Umschlag- oder Fulfillment-Flächen“, erklärt Dirk Wichner, JLL Head of Retail Leasing Germany. Wurden in der Vergangenheit traditionelle Handelskonzepte durch E-Commerce und dann Q-Commerce erweitert, wird die Supply Chain nun von Last Mile Hubs rückwärts geplant.

Laut JLL Urban Logistics-Experte Werner Gliem ist der Trend nicht aufzuhalten: „In diese Unternehmen wurden in den Jahren 2020 und 2021 weltweit circa 14 Mrd. Dollar investiert, um die Großstädte der Welt zu erobern. Hier geht es jetzt nur noch um die Geschwindigkeit der Umsetzung. Aber gerade dabei müssen die Unternehmen einige Hürden nehmen, um möglichst schnell die kritische Größe zu erreichen.“ Die typische Fläche der Last Mile Hubs liegt zwischen 250 und 1.000 m², sie liegen ebenerdig und sind idealerweise gut an Innenstädte oder dichte Wohngebiete angebunden.

So ambitioniert die Lieferversprechen der Q-Commerce-Anbieter sind, so rasant bewegen sie sich seit ihrem Eintritt 2020 im deutschen Immobilienvermietungsmarkt. Allein im ersten Quartal 2021 verzeichnete JLL 16 Neuanmietungen, bevorzugt in der Größenklasse 250 bis 500 m², und ein weiterhin überdurchschnittlich starkes Anfrageaufkommen.

Allerdings sind passende Flächen für diese neue Immobilienklasse derzeit knapp. Die optimale Größe und flexible Nutzung spielen hier eine entscheidende Rolle. Zumal eine Option sein könnte, die Standorte nicht nur als klassische Lager, sondern auch als Mini-Supermarkt für Laufkundschaft zu öffnen oder zusätzlich DHL-Paketshops einzurichten. Der wichtigste Faktor ist und bleibt die zentrale Lage. Dennoch muss die Fläche bezahlbar bleiben, da in der Lebensmittelbranche von Haus aus mit knappen Margen kalkuliert wird.

Für die traditionelle Immobilienwirtschaft bedeutet dies die Herausbildung einer neuen Assetklasse, für die sich noch ein Name etablieren muss: Last Mile Hubs, angesiedelt zwischen Retail und Light Industrial. „Aus Logistiksicht ist die Vorgehensweise sehr spannend und stellt alles Bisherige auf den Kopf. Daher ist hier Kreativität gefragt und ein perfektes Zusammenspiel der Immobilien-Assetklassen Logistik, Retail und Büro, um freie Kapazitäten umzunutzen“, erklärt Simon Melchert, Urban Logistics Consultant bei JLL.

„Die größte Herausforderung der urbanen Logistik besteht darin, ihren zugesagten Service mit der vorhandenen, doch teils starren Infrastruktur qualitativ und schlussendlich quantitativ erfüllen zu können.“

Timo Willberger, Business Development Manager Fashion & Retail, Miebach Consulting GmbH

Q-Commerce bedeutet für die Städte und Eigentümer gleichermaßen Chance und Herausforderung. Die Menge an Auslieferern wird deutlich ansteigen, auf der anderen Seite könnte dies eine Gelegenheit für bereits länger freigewordene Handelsimmobilien sein, eine Nachnutzung zu finden.

Trotz des schnellen Wachstums dieses Marktes und der zahlreichen Neugründungen bleibt die Frage: Was passiert nach Corona? Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien noch viel Nachholbedarf im Bereich E-Food. Dort sind in diesem Segment bereits Anteile von 8 bzw. 8,8 Prozent zu verzeichnen.

Und es stehen bereits weitere Marktteilnehmer in den Startlöchern, etwa der türkische Lieferdienst Getir, der tschechische E-Food-Anbieter Rohlik mit seiner Plattform Knuspr oder das Konzept Jokr von Foodpanda-Gründer Ralf Wenzel. Sie alle wollen noch 2021 den deutschen Markt betreten. Es ist abzusehen, dass sich nur ein Teil der neu gegründeten Start-Ups behaupten wird. Bei diesem Modell ist Schnelligkeit des Wachstums auschlaggebend, um nicht als kleiner Anbieter letztendlich von den Großen geschluckt zu werden.

Auch für Immobiliendienstleister gehen mit den neuen Anforderungen der Q-Commerce-Akteure Veränderungen einher: „Bei JLL haben wir frühzeitig darauf reagiert und eine weltweite Struktur aufgebaut, die diese neue Asset-Klasse in jedem Land betreut. Dabei geht es nicht nur um die Suche und Vermittlung der passenden Flächen, sondern vielmehr um eine ganzheitliche Betreuung der Kunden, einschließlich Standortsuche, Hilfe bei Genehmigungen oder Umbauten. Beim Aufbau zukunftstauglicher Supply Chain-Strukturen unterstützen wir Q-Commerce Unternehmen gemeinsam mit unserem Partner Miebach Consulting. Dabei ist entscheidend, die Expansionsstrategie von der Last Mile Hub-Suche bis zum Aufbau von Regional- und Zentrallagerstandorten vernetzt zu betrachten“, so Gliem.

Aniko Korsos,Head of Retail Leasing, Germany
Aniko Korsos
Head of Retail Leasing, Germany