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Sanieren für den Klimaschutz: Auf die Gesamtbilanz kommt es an

Der Immobilienbestand hat gewaltigen Einfluss auf das Gelingen der Klimawende. Müssen wir alte Gebäude also jetzt möglichst schnell loswerden und energieeffizient neu bauen? Keine gute Idee, denn die Klimabilanz geht weit über den Betrieb der Immobilien hinaus.

15. September 2021

Beim Klimaschutz spielt der Immobiliensektor eine entscheidende Rolle, darüber gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Weniger verbreitet ist das Wissen um die gewaltigen Herausforderungen, die damit verbunden sind. 1979 trat die erste Wärmeschutzverordnung in Deutschland in Kraft. Und ein großer Teil des bundesdeutschen Immobilienbestandes wurde selbst vor dieser initialen Regulierung entwickelt. Etwa 63 Prozent des deutschen Wohngebäudebestandes wurde laut DENA-Angaben vor diesem Zeitpunkt erbaut.

Nicht viel besser sieht es bei den übrigen Assetklassen aus. Hier entstanden fast 55 Prozent der Immobilien vor 1978. Viele von diesen Gebäuden wurden im Laufe der Jahre bereits Sanierungsmaßnahmen unterzogen, dennoch sind große Teile des Bestands meilenweit entfernt von den Standards heutiger Projektentwicklung.

Also am besten alles abreißen und neu errichten? Wirtschaftlich nicht umsetzbar und natürlich auch rein praktisch nicht. Über alle Assetklassen hinweg stehen keine Bestände leer, die man problemlos einfach ersetzen könnte. Aber auch ökologisch ist der Neubau nicht automatisch der bessere Ansatz. Sicher, moderne Niedrigenergieimmobilien sind im Betrieb Altbeständen deutlich überlegen. Aber sie müssen erst einmal errichtet werden. Und dabei entsteht ein Großteil der CO2-Emissionen. „Nachhaltigkeit muss immer im Rahmen des Lebenszyklus einer Immobilie betrachtet werden. Neben dem Betrieb sind also die Emissionen bei der Herstellung von Baumaterial und beim Bauvorgang selbst zu berücksichtigen. Entsprechend ist Redevelopment in aller Regel nachhaltiger als der beste Neubau“, erklärt Ilia Steinberg, Director Project & Development Services bei JLL.

Vor allem der Zement ist einer der großen Posten auf der Klimarechnung. Rund 7 Prozent der globalen CO2-Emissionen entstammen aus dessen Herstellung. Zwar arbeiten die Hersteller an der Reduzierung, indem etwa alternative Bestandteile wie Hüttensand oder gemahlener Altbeton zugesetzt werden, doch trotz merklicher Fortschritte wird Zement ein zentraler Faktor in der Klimabelastung bleiben.

Um die gesetzten Klimaziele also zu erreichen, muss eine gewaltige Sanierungswelle losgetreten werden. Ein Blick auf die vergangenen zehn Jahre zeigt, dass in diesem Bereich noch deutlich Luft nach oben ist. So gab es im Büroimmobiliensektor zwischen 2011 und 2021 in den Big 7 Fertigstellungen von rund 11 Mio. m2, davon 1,8 Mio. m2 Sanierungen. Die Aktivitäten steigen derzeit allerdings merklich. 2024 könnte der Anteil der entsprechenden Sanierungsbauten auf bis zu 30 Prozent ansteigen.

Neuen Schub für das Redevelopment dürfte auch die Realität der Immobilienmärkte mit sich bringen. „In vielen Lagen ist schlichtweg kein neues Bauland verfügbar oder aber nur zu den derzeit sehr hohen Preisen. Das macht das Bauen im Bestand auch zu einer wirtschaftlich attraktiven Alternative, die dem Klimaschutz zuspielen kann“, so Christoph Merten, Lead Project & Development Services Region Central. In den begehrten Top-Lagen der Republik wird der Anteil der Sanierungsbauten voraussichtlich schon bald auf rund 40 Prozent anwachsen. Und auch in vielen B-Märkten ist der Anstieg bereits zu verzeichnen.

„Allerdings ist auch beim Redevelopment Augenmaß gefragt“, wie Sven Grönwoldt, JLL Team Leader Sustainability & ESG Consulting, betont. „In der Vergangenheit wurden oft Fassaden mit Isolierungsmaterialien verklebt, bei deren Herstellung, Anbringung und Entsorgung große Mengen CO2 freigesetzt wurden. Gedanken hat man sich darüber früher nicht gemacht. Im Gegenteil: die Maßnahmen wurden sogar staatlich gefördert. Heute hingegen bilanzieren wir mit spitzerem Stift und schauen auch auf die Emissionen, die in vor- und nachgelagerten Prozessen freigesetzt werden. Wer sich für die beste Lösung im Sinne der CO2-Reduktion entscheiden will, muss also gründlich bilanzieren. An diesen Punkt kommen wir langsam.“

Ilia Steinberg,Director Project & Development Services
Ilia Steinberg
Director Project & Development Services