Wie sieht die Zukunft der Innenstädte aus?
Einöde oder Zentrum des Lebens? Nur gemeinsam können die verschiedenen Player einen attraktiven urbanen Raum schaffen, der auch in Zukunft noch Menschen in die Innenstädte locken wird. Der Einzelhandel allein kann die City nicht neu erfinden, auch Stadtplaner stehen vor neuen Herausforderungen.
Schon einige Jahre vor der Corona-Pandemie zeigte sich, dass die Generation der Shopping-Jünger laufmüde geworden ist. Gemeinsam mit Freunden oder der Familie einen Tag durch die Innenstadt schlendern, die ausgedehnten Einkaufsstraßen entlang von Geschäft zu Geschäft pilgern und in beiden Händen Tüten nach Hause tragen, solche Ausflüge „in die Stadt“ haben ihren Reiz verloren. Pandemie und Lockdowns verstärkten diese Entwicklung, als die Innenstadt als Zentrum des Lebens, der Zusammenkunft, des geschäftigen Treibens vorübergehend stillgelegt wurde – mit den bekannten Folgen für den Einzelhandel, aber ebenso für die sozialen Begegnungen der Menschen und die Attraktivität des Standortes Innenstadt
Der Handel im steten Wandel
Die Branche des Handels unterliegt seit jeher einem ständigen Wandel. Schon seit Jahrtausenden handeln Menschen miteinander, später entstanden Marktplätze und fliegende Händler. Diese siedelten sich zunächst dort an, wo sie Menschenmengen vorfanden – rund ums Rathaus oder entlang des Wegs vom Bahnhof dorthin. Die Ware wurde den Konsumenten „zugetragen“, bis sich die Händler niederließen und die Konsumenten gezielt in die einzelnen Geschäfte gingen, um ihre Einkäufe zu tätigen. Der Handel passt sich fortlaufend den Bedürfnissen und Gewohnheiten seiner Konsumenten an.
In der Pandemie war der Handel erneut gefordert, umzudenken. Digitalisierung des Einzelhandels lautet das Mantra: An Omnichannel-Konzepten führt seit Corona kein Weg vorbei. „Die Erkenntnis ist nicht mehr neu, aber sie zwingt die niedergelassenen Händler, sich aus ihrer Komfortzone hinauszuwagen: Wer im Internet nicht gefunden wird, bei dem wird schlichtweg nicht gekauft“, erklärt Dirk Wichner, Head of Retail Leasing Germany bei JLL. Ob Click & Collect, Online-Marktplätze oder eigene Webshops, der Einzelhandel muss seine Kunden über neue Kanäle erreichen, um sie nicht an die reinen E-Commerce-Anbieter zu verlieren. 2020 konnte der Onlinehandel in Deutschland bereits einen Umsatzzuwachs von 23 % auf 73 Milliarden Euro verbuchen, für 2021 belaufen sich bisherige Schätzungen auf 90 Milliarden Euro.
Was in Teilen aus der Not heraus passierte, weil nicht im Geschäft um die Ecke eingekauft werden konnte, brachte den Kunden auch viele Annehmlichkeiten: Keine Parkplatzsuche oder volle U-Bahnen, keine Warteschlangen oder lästiges Tütenschleppen. Stattdessen pure Zeitersparnis, breite Produktauswahl, direkte Vergleichsmöglichkeiten sowie bequemes Nach-Hause-Liefern – oft kostenlos und am nächsten Tag.
Kaufen die Kunden jetzt wieder in der Innenstadt ein?
Nun ist der Weg in die Innenstädte wieder frei, die Passantenfrequenzen in den Highstreets der Top-7-Städte nähern sich dem Mittel der Vor-Corona-Jahre an und die Anzahl an Vermietungen in den Innenstädten steigt ebenfalls wieder.
Dass es die Menschen zurück in die Innenstädte zieht, bedeutet allerdings nicht gleichzeitig, dass sie in alter Manier konsumieren. Kundenansprüche und Konsumverhalten haben sich durch die Pandemie zum Teil deutlich verändert. Geht es ihnen in Zukunft vorrangig um soziale Begegnungen und um Erlebnisse? Um Restaurantbesuche, Lesungen, Fashion-Shows oder Schaufenster-Bummel? Der Trend ist erkennbar: Appetit holt man sich draußen, aber bestellt wird zu Hause – nach Hause. Die Frage ist, „wo?“ und „was macht der niedergelassene Einzelhandel daraus?“.
Wer gibt den Startschuss für die Innenstadt der Zukunft?
„Der Einzelhandel muss mehr denn je auf neue Ideen setzen, auf kleinere Ladenlokale und breiter aufgestellte Vertriebskonzepte, die auch E-Commerce und Showrooms sowie Events mitdenken zum Beispiel“, meint Dirk Wichner. Einerseits, – doch es braucht andererseits auch Konzepte für die Belebung von Innenstädten. Schließlich kann Handel nur dort stattfinden, wo sich Menschen aufhalten.
Stadtzentren bieten alle Möglichkeiten: Raum zum Leben, zum Wohnen und zum Arbeiten, Raum für den Handel und notwendige Logistik. So steht und fällt die Zukunft des City-Feelings mit der Ausgestaltung dieses urbanen Raumes. Der Einzelhandel hat seinen Auftrag schon allein aus Gründen der Wirtschaftlichkeit – doch sein Einfluss ist begrenzt. Auch die Stadtplaner müssen erkennen: nur durch ein weitreichendes Neudenken der Innenstadt kann ein attraktiver öffentlicher Lebens-Raum funktionieren.
Es braucht neue Ideen für den urbanen Raum
Es wird nicht nur darum gehen, einzelne Straßenzüge oder Plätze einladend zu gestalten, sondern darum, den öffentlichen Raum umfassend neu zu denken und sämtliche urbanen Bereiche mit einzubeziehen. Statt Parkstreifen für Autos und fließendem Verkehr, Sitzgelegenheiten unter Bäumen, Fußgängerzonen oder gastronomisch genutzte Flächen – Aufenthaltsqualität erhöhen und Möglichkeiten für Veranstaltungen schaffen.
Die Möglichkeiten sind vielfältig, Paris zum Beispiel macht es vor. Auch die städtische Beteiligung an der Übernahme von Leerstand kann alternative Nutzenkonzepte ermöglichen und zur Regeneration der Stadtzentren beitragen: Räume für die öffentliche Verwaltung mit Publikumsverkehr, Stadtbücherei oder Schulungszentren, Studenten- oder Seniorenwohnheime, Gastronomie, Kletterhallen, Indoor-Freizeitkonzepte, Nahversorger oder Last-Mile-Hubs. All dies ist denkbar, um die Innenstadt-Bereiche zu beleben und die Menschen zurück in die City zu ziehen. Es liegt in der Städte Hände, den Weg für diese Belebung zu bereiten.
Einzelhandel, Stadtplanung und Eigentümer der Geschäftshäuser an einen Tisch
Ein zukunftsfähiges Innenstadtkonzept muss den Raum zum Leben und Arbeiten mit attraktiven Kultur- und Freizeitangeboten sowie innovativen Einkaufs- und Entertainmentkonzepten verbinden. Um dies zu ermöglichen, müssen die beteiligten Player ein gemeinsames Ziel verfolgen. Einzelhandel, Stadtplanung – und auch Eigentümer der innerstädtischen Geschäftshäuser, die mittelfristig bisherige Nutzungskonzepte ihrer Baukörper hinterfragen und an die neuen Bedürfnisse anpassen müssten, gehören mit ins Boot. Denn alle drei Parteien haben ein Interesse daran, dass die Innenstädte Zentrum des Lebens bleiben – und man die individuellen Konzepte an den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen des menschlichen Zusammenlebens ausrichtet.