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Wohnkosten und Grundversorgung: Wenn sich die Stadt sich selbst nicht mehr leisten kann

Die Städte benötigen dringend Lehrer und andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Doch hohe Mieten könnten eben die vom Umzug in die Zentren abschrecken.

29. August 2019

Die Schule hat nun nach der Sommerpause in fast allen Bundesländern wieder begonnen und vielerorts wird deutlich: Die Nachbesetzung von frei gewordenen Lehrerstellen ist an zahlreichen Schulen mittlerweile zum bestimmenden Thema geworden. Und während in der privaten Wirtschaft viel vom „War for Talent“ die Rede ist, gerät mitunter aus dem Blickfeld, dass auch bei der Daseinsfürsorge in den städtischen Zentren nicht alles zum Besten bestellt ist.

So sehr, wie Unternehmen helle Köpfe brauchen, so sehr benötigt eine Stadtbevölkerung Krankenpflege, Kita-Personal, Polizei oder Grundschulen. Wie schwer gerade der Bedarf Lehrern zu decken ist, wird dieser Tage wieder deutlich. Aber auch rund ums Jahr ringen die Regionen in vielen Feldern um Arbeitskräfte und Nachwuchs im sicher nicht immer bestdotierten öffentlichen Dienst. Neben anderen Rahmenbedingungen dürften hier die hohen Wohnkosten zu einer kritischen Frage werden. Die Situation ist vertrackt: Das Leben auf dem Land wird durch die Bewegung in die Städte immer unattraktiver, was der Landflucht noch weitere Dynamik verschafft. Dort sinken Nachfrage, Mieten und Kosten für Eigentum ganz erheblich. In der Stadt wächst die Bevölkerung weiter, die Wohnraumproblematik verschärft sich, gleichzeitig wächst das Bedürfnis an grundlegenden Versorgungsleistungen. Nur deren Erbringer sind zunehmend nicht mehr in der Lage, sich das Leben in den Zentren leisten zu können.

Hohe Mieten selbst für akademische Berufseinsteiger

Verdeutlichen lässt sich das am Beispiel der Grundschullehrer. Bei wenigen Berufsgruppen ist das Gehalt bundesweit so homogen dokumentiert. Obwohl sich ihre Bezahlung immerhin im mittleren bis oberen Bereich des Öffentlichen Dienstes bewegt, lässt sich selbst hier eine spürbar zunehmende Wohnkostenbelastung belegen. Für niedriger eingruppierte Beschäftigte fällt sie umso schwerer ins Gewicht.

In welchem Umfang ein Haushalt von den Wohnkosten eingeschränkt ist, wird üblicherweise über die Mietbelastungsquote ermittelt. Sie gibt das prozentuale Verhältnis der Gesamtnettokaltmiete zum Nettoeinkommen (in unserer Berechnung also eines Lehrers) wieder. Das verfügbare Nettoeinkommen ergibt sich wiederum als Mittelwert der Nettoeinkommen verschiedener Steuerklassen, auch wenn es auf individueller Ebene natürlich erhebliche Variationen geben kann. In unserer Darstellung gehen wir von der mittleren Neuangebotsmiete bei Ein-Personen-Haushalten aus, mit einer Wohnfläche von 70 m2.

Ländliche Regionen sorgen für durchschnittlich moderate Mieten

Betrachtet man das gesamte Bundesgebiet, fällt die Mietbelastungsquote der Grundschullehrer noch moderat aus. Das gilt selbst für die Angestellten bei Berufseinstieg (E11, Stufe 1), die in diesem Berufsstand mit der kleinsten Lohntüte nach Hause gehen. „Bei rund 30 Prozent der angestellten Grundschullehrer liegt die Mietbelastungsquote zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs zwischen 20 und 25 Prozent. Etwa 17 Prozent zahlen relativ noch weniger“, erläutert Dr. Sören Gröbel, Senior Research Analyst bei JLL, die Mietsituation junger Lehrer. Auffällig ist allerdings schon bei der überregionalen Betrachtung, dass über 20 Prozent – immerhin die zweitgrößte Gruppe – auf mehr als 35 Prozent Mietbelastungsquote kommen. Das dürfte vor allem am Einfluss der städtischen Zentren liegen, in denen schließlich auch die Lehrerdichte deutlich höher ist als auf dem flachen Land.

Mit steigendem Einkommen, etwa durch Stufenaufstieg nach Berufserfahrung oder Verbeamtung, sinkt naturgemäß die Mietbelastungsquote. In der höchsten Stufe 6 (bei Verbleib in E11) liegt sie bei mehr als der Hälfte der Grundschullehrer nur noch bei 20 Prozent oder weniger. Mehr als 35 Prozent des Nettoeinkommens zahlen hier lediglich rund 3 Prozent. Schaut man sich die Beamten an, zeigt sich bei Besoldung A 12 eine in etwa vergleichbare, mit A 13 noch einmal eine signifikant entspanntere Situation. Mehr als zwei Drittel der letztgenannten Lehrer sind mit weniger als 20 Prozent belastet.

In Großstädten über ein Drittel des Gehalts für die Kaltmiete

Ganz anders fällt dagegen das Bild aus, wenn man sich auf die größeren Städte konzentriert. Eine moderate Mietbelastungsquote von 20 bis 25 gibt es selbst für die unteren Gehaltsstufen der Grundschullehrer beispielweise in Leipzig, Dresden oder auch in Essen. In der Mehrzahl der betrachteten westdeutschen Städte, etwa München, Köln, Frankfurt am Main oder Hamburg, erreicht sie einen weit höheren Wert von über 35 Prozent. „Das Extrembeispiel der Mietbelastungsquote für Grundschullehrer ist München, was aufgrund der bekannterweise sehr hohen Wohnkosten an der Isar nicht überrascht. Selbst nach 15 Jahren Gehaltsaufstieg liegt die Mietbelastungsquote dort immer noch bei 35 Prozent und mehr“, erklärt Gröbel. In den übrigen Zentren fällt sie dagegen merklich auf meist 30 bis 35 Prozent oder noch darunter. Vergleichbar ist hier wieder die Situation der mit A12 verbeamteten Grundschullehrer.

Für Berufseinsteiger wird der Umzug zur Entbehrung

Das sind durchaus bedenkliche Werte, gerade bei den Berufseinsteigern, die so manchen davon sicher nach alternativen Standorten suchen lassen. Und das wiederum mach sich bei der Schwierigkeit bemerkbar, Lehrerstellen in den städtischen Zentren zu besetzen. „Neben allen anderen Effekten: Auch das relativ starke Absinken des Wohnstandards beim Umzug in die Großstadt dürfte einen Anteil daran haben, dass zum Beispiel Berlin rund 70 Prozent der Neueinstellungen mit Seiteneinsteigern füllen muss. Die anstehende Pensionierungswelle der Babyboomer-Lehrer wird den Mangel noch einmal erheblich verschärfen – und das sicher nicht nur in Berlin“, gibt Gröbel zu bedenken.

Aber die Probleme gehen natürlich noch viel weiter. Wer etwa in der Krankenpflege einsteigt, erreicht nach der Ausbildung bei weitem keine Gehaltsstufe E11 – sondern die Eingruppierung E7. Polizisten im mittleren Dienst steigen mit einer A7 ein, in der Kita gilt üblicherweise die Entgeltgruppe S6. Was das in Euro und Cent am Ende des Monats bedeutet, hängt noch einmal von verschiedenen Faktoren ab. Und Abweichungen gibt es auch zwischen den Bundesländern. Klar ist aber: Wer in diesen Positionen arbeitet, hat noch einmal deutlich weniger Geld für die Miete übrig als Grundschullehrer.

Weniger Schuldzuweisungen, mehr Baugenehmigungen

Nun sind die öffentliche Versorgung und die Aufrechterhaltung staatlicher Ordnung aber eben auf diese Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst angewiesen. Ebenso wie auf zahlreiche andere Berufsstände, die hier nicht explizit genannt wurden. In den Städten benötigt man von diesen Menschen weit mehr als auf dem Land – und die müssen auch irgendwo wohnen können. Es gilt also, endlich genügend Wohnungen für sie zu schaffen. Doch die öffentliche Hand gefällt sich derzeit vornehmlich darin, mit dem Finger auf Investoren und Vermieter zu zeigen. Die eigenen Hausaufgaben werden darüber gerne vergessen. Gerade ging es wieder durch die Presse: Erneut ein Rückgang im sozialen Wohnungsbau, mal wieder hakt es bei den Baugenehmigungen.

Ein rein deutsches Problem ist die hohe Wohnkostenbelastung bei jungen Lehrern indes nicht. Gerade für Berufseinsteiger ist die Lage etwa in US-amerikanischen Städten noch deutlich problematischer. Laut Analyse von USA Today zahlen sie nur in 13 der insgesamt 291 untersuchten  Metropolitan Areas – also nicht einmal in jeder zwanzigsten - weniger als 30 Prozent ihres Gehalts.

Bessere Rahmenbedingungen für das Umland schaffen

Nicht nur die Wohnraumentwicklung in den Zentren selbst muss sich die Politik auf die Fahnen schreiben, denn dort sind die Flächen natürlich endlich (auch wenn es vielerorts noch deutliches Potenzial gibt). „Es gilt, endlich das nähere und weitere Umland der Städte besser zu erschließen und anzubinden. In dieser Hinsicht ist auch der Zustand von Bahn, ÖPNV und Straßen ein Immobilienthema. Millionen Pendler leiden unter eingeschränkten oder unzuverlässigen Verbindungen speziell um die Ballungsräume herum“, so Dr. Konstantin Kortmann, JLL Head of Residential Investment Germany. Auch hier sind Politik und Verwaltung gefragt, endlich die Rahmenbedingungen richtig zu setzen, Planungsrecht zu schaffen und umzusetzen. Auch wenn das bereits ansässige Bewohner nicht immer begeistert. Andernfalls könnten den städtischen Zentren in absehbarer Zukunft die Grundschullehrer abhandenkommen – und beileibe nicht nur die.

Dr. Konstantin Kortmann,Country Leader Germany & Head of Markets Advisory
Dr. Konstantin Kortmann
Country Leader Germany & Head of Markets Advisory
Dr. Sören Gröbel,Director Research
Dr. Sören Gröbel
Director Research