Change Management steht und fällt mit dem Menschen
Der Faktor Mensch steht im Mittelpunkt jedes Change-Prozesses. Nur wer das begreift, stemmt auch die digitale Transformation in der Immobilienbranche erfolgreich.
Der Begriff Change Management hat seit ein paar Jahren Hochkonjunktur, vor allem getrieben durch Digitalisierung und der Forderung nach agilen Organisationsformen. Aber ist das grundsätzliche Thema Change wirklich so neu? Lange bevor programmierbare Rechenmaschinen anfingen, den Arbeitsalltag zu bestimmen, setzten wir unsere eigene Fähigkeit, zu kalkulieren, ein. Beim US-amerikanischen National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges beispielsweise jede Menge Frauen als „Human Computer“ (Menschliche Rechner). 1943 wurde Dorothy Vaughan eine von ihnen; ab 1949 leitete die Mathematikerin als erste afroamerikanische Frau eine Abteilung bei der NACA, die West Area Computing Unit des Langley Research Center.
Doch so wie wir heute mussten sich Angestellte schon in der guten alten Zeit (die es in Wirklichkeit leider nie gab) mit unbequemen Neuerungen herumschlagen: 1958 verwandelte sich das NACA in die NASA, eine US-Bundesbehörde. Im gleichen Zuge übernahmen elektronische Computer sämtliche aeronautischen Berechnungen. Um die Zukunft der Raumfahrt dennoch mitzugestalten, beschloss Dorothy Vaughan, programmieren zu lernen. Ihre Mitarbeiterinnen überzeugte sie, es ihr gleichzutun.
Ein typischer Change Management-Prozess! Oder etwa nicht?
(Fast) Niemand mag Veränderungen
Dorothy Vaughan war in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Im Hinblick auf Veränderungsprozesse gehörte sie einer statistisch ausgewerteten Minderheit an. Die übliche Reaktion auf Veränderungen heißt nämlich: Widerstand. Der Widerstand von Mitarbeitern gilt als die häufigste Ursache für einen gescheiterten Wandel innerhalb von Organisationen. Mohr, Woehe und Diebold fassten bereits in ihrer Akzeptanzmatrix von 1998 passend zusammen: 15 Prozent der Belegschaft wehren sich grundsätzlich. 40 Prozent bremsen Projekte aus, weil sie erhebliche persönliche Risiken fürchten. Weitere 40 Prozent sind skeptisch, denn sie stufen die sachlichen Risiken als hoch ein. Im Durchschnitt befürworten gerade einmal fünf Prozent der Mitarbeiter anstehende Veränderungen. Diese kleine Gruppe reicht jedoch nicht aus, wenn wir den digitalen Wandel stemmen wollen. Also, was tun?
Auf große Träume und ehrgeizige Pläne folgt harte Arbeit
„In zehn Jahren wird JLL ein Technologiekonzern sein, dessen Fokus auf Immobilien liegt.“ Als CEO von JLL trägt Christian Ulbrich die Gesamtverantwortung für die strategische Ausrichtung des Unternehmens und gibt mit dieser Aussage eine Vision vor. Sie bildet die Basis für den langwierigen Veränderungsprozess, der vor uns liegt. Wir brauchen solche mutigen, klar formulierten Zukunftsbilder, denn sie schaffen eine Konstante, an der sich das gesamte Team zu jeder Zeit orientiert, und erklären nicht nur den Befürwortern des Wandels, sondern auch den Bremsern, Skeptikern und Widerständlern, warum vieles nicht bleiben kann, wie es ist.
Zahlreiche Wege führen zum Ziel und welche genau ein Unternehmen wählt, fasst eine Strategie zusammen. Bei JLL in Deutschland begann die Reise vor fast zehn Jahren mit der Standardisierung von Geschäftsprozessen. Die Entwicklung unseres Onlineportals jll.de/immo folgte 2013, drei Jahre später kam jll.de/investment hinzu. Intern passten wir unter anderem CRM-Applikationen an, führten eine automatisierte Datenbereinigung und -analyse ein, stellten digitale Performance-Dashboards zusammen. Die Organisation des Unternehmens bekam an einigen Stellen eine neue Struktur, um den entsprechenden Anforderungen gerecht zu werden. Alles fing mit einem kleinen Schritt an. Nach und nach konnten wir skalieren.
Aber auf jedem Pfad liegen bekanntlich haufenweise Stolpersteine. Die größte Gefahr des Scheiterns steckt in der Ausführung der einzelnen Projekte. Mangelhafte Prozesssteuerung, ein zu schnelles Veränderungstempo: Operativ können selbst Banalitäten rasant einen Stillstand erzeugen. Das liegt insbesondere daran, dass Menschen Wesen mit Emotionen sind, Ängsten, Vorurteilen und eigenen Interessen. Das unterscheidet sie von Geld, Mineralien, Immobilien und anderen leblosen Elementen eines Change-Prozesses. Wie wir mit Menschen umgehen, trägt wesentlich dazu bei, in welchem Zeitraum, beziehungsweise ob wir den Umbruch überhaupt bewältigen. Aber auch der Begriff des „Scheiterns“ selbst ist zu hinterfragen. Im Wandel gibt es selten die Garantie auf den sofortigen Erfolg. Fehler akzeptieren und daraus lernen ist die Devise. Mit einer Schuldkultur wird man nicht weit kommen.
Kultur ist der Schlüssel zum Erfolg im Change-Prozess
Als Dorothy Vaughan bei der West Area Computing Unit angefangen hatte, war sie Teil einer Arbeitsgruppe, die ausschließlich aus afroamerikanischen Frauen bestand und von einer weißen Frau geführt wurde. Die Teammitglieder durften weder dieselbe Kantine benutzen noch auf dieselbe Toilette gehen wie Weiße. Während des Change Management-Prozesses von 1958 wechselte Dorothy mit ihren Mitarbeiterinnen in eine neue Abteilung: Diese bestand aus Frauen und Männern verschiedener Hautfarben. Die Rassentrennung entfiel außerdem beim Essen und Händewaschen. Die Kultur der Organisation änderte sich fundamental. So trug sie zum Gesamterfolg aller geplanten Missionen bei.
Die Kultur einer Organisation vermag die Implementierung einer Strategie allerdings ebenso zu verhindern. Nicht umsonst zitieren Manager wie Berater so häufig Peter Druckers Aussage „Kultur isst Strategie zum Frühstück.“ Wer es ernst meint mit dem Change Management, sollte sich ausführlich mit der Unternehmenskultur beschäftigen. Mitarbeiter fühlen sich einem Unternehmen zugehörig, wenn sie dessen Version verstehen und sich mit den dazugehörigen Werten identifizieren können.
Angenommen, es gibt Kollegen, die es gewohnt sind, Informationen als einen Wettbewerbsvorteil zu betrachten, der eine bessere Bewertung ihrer Leistungen verspricht. Was passiert, wenn nun jeder seine Datensätze teilen muss? Budgets werden meist einzelnen Abteilungen zugeordnet. Wie wirkt sich eine eingeforderte interdisziplinäre Zusammenarbeit auf die zukünftige Verteilung aus und wie reagieren die Verantwortlichen? Mancherorts hängt der Status eines Mitarbeiters innerhalb des Unternehmens immer noch mit der Größe seines Büros zusammen. Sitzen plötzlich alle in einem Open Space, wie begegnet man dann einer möglichen Entmutigung?
Wollen wir Veränderungen gut managen, müssen wir zunächst überlegen, woher möglicher Widerstand rührt. Wir kommen nicht umhin, zuzuhören. Wer den Wandel vorantreiben will, für den mag so mancher Einwand wie an den Haaren herbeigezogen klingen. Aber dahinter stecken in aller Regel echte Bedürfnisse und auch Ängste. Daher ist entscheidend, den Sinn hinter dem Wandel zu vermitteln, herauszustellen, wie man vom Gemeinsamen auch als Individuum profitiert. Das wird über rein hierarchisch unterlegte Anweisungen niemals gelingen, sondern nur mit Überzeugungsarbeit. Dazu braucht es klare Werte, Vorbilder, die sich als Ratgeber verstehen, sowie eine offene Kultur mit Raum für Kreativität und neue Ideen. Die Digitalisierung fordert von uns also nicht nur ein, neue Technologien zu nutzen. Das ist noch das Einfachste im Wandel. In erster Linie geht es darum, mit Menschen zu kommunizieren und sie zu verstehen, damit sie einen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg erbringen können. Erst auf der Grundlage einer solchen Unternehmenskultur gelingt ein nachhaltiger Change Management-Prozess.
Eine leicht verständliche Vision und eine gut durchdachte Strategie sind zunächst nichts weiter als theoretische Konstrukte. Die Kompetenz, jeden Schritt auf den ausgewählten Wegen zu realisieren und die Menschen im Unternehmen dabei mitzunehmen, entscheidet darüber, ob wir am Ziel ankommen oder nicht.