Artikel

Hohe Erwartungen: Was sich Unternehmen von Coworking versprechen – und was davon realistisch ist

Viele Unternehmen testen derzeit Flexible Office Space. Manche setzen bewusst auf Coworking-Kultur, andere sind an flexiblen Mietkonditionen interessiert.

16. Mai 2019

Der Markt für flexible Büroflächen wächst rasant. In den Big-7-Standorten Deutschlands entfallen mittlerweile mehr als eine Million Quadratmeter auf dieses Segment. Die Flex-Hauptstadt ist mit großem Abstand Berlin, gefolgt von München und Hamburg. Hierzulande sind es vor allem Hybrid-Modelle, die das Wachstum des Marktes antreiben. Also Anbieter, die sowohl Arbeitsplätze im Open Space als auch in geschlossenen Büroräumen anbieten. Das macht die Angebote weit über die Szene der Start-ups hinaus attraktiv. Zunehmend prüfen auch etablierte Unternehmen, die Corporates, ob Flexible Office Space für ihre Belange geeignet sein könnte.

Die meisten von ihnen befinden sich noch in der Experimentierphase und das mit ganz unterschiedlichen Erwartungen. Während manche bewusst auf die Coworking-Kultur setzen und sich davon Innovationsschübe und eine andere Qualität der Arbeit erhoffen, spielt für andere eher die betriebswirtschaftliche Seite der Flexibilität eine Rolle: Kürzere Mietverträge, anpassbare Flächenbindung. Und manche Nutzer stellen auch fest, dass die neue Bürowelt durchaus ihre Tücken haben kann. Rechtliche Vorschriften, Angst vor der Abwerbung von Personal, Verlust der bisherigen Unternehmensidentität – alles nicht völlig von der Hand zu weisen. So kehren auch so manche Corporates nach ihrem Ausflug in die Flex-Sphäre wieder in ganz traditionelle Büroumgebungen zurück.

Für welche Corporates also eignet sich Flex Space, was sind die Erwartungen und Treiber – und was davon macht wirklich Sinn? Stephan Leimbach, JLL Head of Office Leasing Germany, und Marc Mauscherning, JLL Senior Director Corporate Solutions, beleuchten den Flex-Markt für Unternehmen.

Flexibel ist ein weiter Begriff. Was genau suchen Unternehmen? Ist man interessiert an einer neuen Arbeitskultur oder geht es eher darum, in immer volatileren Märkten beim Umfang der Büroflächen beweglich zu sein?

Stephan Leimbach: Die Welt dreht sich immer schneller, ganze Produktzyklen haben sich auf wenige Jahre reduziert. In diesem Umfeld sind für Unternehmen schnell anpassbare Bürokapazitäten entscheidend. Früher versuchte man das über Vormietrechte, vorzeitige Flächenrückgaben und ähnliches zu realisieren, doch gerade zeitlich passte die jeweilige Lösung selten zum Problem. Flexible Office Space ermöglicht nun eine sehr individuelle Anpassung der Kapazität.

Das Thema Arbeitskultur spielt für viele Unternehmen aber ebenfalls eine Rolle. Gut ausgebildete, junge Menschen schätzen eine agile Arbeitsumwelt, in der man Wissen teilt und kooperiert. Die entsprechenden Raumkonzepte gibt es aber noch nicht überall. Coworking und sein Einfluss auf die Unternehmenskultur sind daher ein möglicher Erfolgsfaktor im „War for Talent“. Insgesamt haben Unternehmen verstanden, dass vor allem ein zufälliger Austausch zwischen den Mitarbeitern, beispielsweise in Lounge-Bereichen, innovationsfördernd ist. Der Austausch über Unternehmensgrenzen hinweg birgt aber auch Gefahren, nämlich dann, wenn Informationen vertraulich bleiben müssten.

Marc Mauscherning: Beide Aspekte fallen für Unternehmen ins Gewicht, zumeist aber nicht in Kombination. Manche Corporates nutzen das Angebot von Flex Space, um Bedarfsspitzen abzufangen, Projektteams flexibel unterzubringen oder um neue Märkte und Standorte zu erschließen. Sie suchen dann nicht unbedingt nach besonders kreativen Flächenkonzepten, sondern einfach praktischen Lösungen. Das ist an sich nicht neu, trifft aber heute auf ein viel breiteres Angebot als in der Vergangenheit.

Für Unternehmen, die sich an den Kulturwandel wagen wollen, gibt es dagegen spannende Konzepte in Bezug auf Design, Organisation und Vernetzung. Die Unternehmenskultur wirklich zu verändern wird aber nur möglich sein, wenn man diesen Wandel ins eigene Unternehmen bringt und nicht versucht, ihn nach draußen an Drittanbieter auszulagern.

Gibt es noch weitere Argumente für Coworking?

Stephan Leimbach: Neben Flexibilität und Community gibt es zwei weitere wesentliche Faktoren: Einfachheit und Verfügbarkeit. Einfachheit bedeutet, dass man sich nicht um Ausbau der Flächen, Möbel oder Getränke für die Mitarbeiter kümmern muss, da alles im Pauschalpreis enthalten ist und zur Nutzung bereitsteht. Das nützt vor allem Unternehmen ohne spezialisierte Immobilienbereiche.

Verfügbarkeit ist quasi ein unfreiwilliges Argument für Flex Space. Wer zum Beispiel kurzfristig 50 oder 100 Arbeitsplätze in Berlin-Mitte sucht, hat sehr wenig Auswahl. Wenngleich die Coworking-Anbieter in der Hauptstadt gut ausgelastet sind, gibt es dort meist noch ausreichend Arbeitsplätze.

Es gibt schon etwas länger den Trend, Innovationsabteilungen an unternehmensfernen Standorten unterzubringen, um geistige Freiräume zu schaffen. Wie kommt Flex Space hier ins Spiel?

Marc Mauscherning: Kreativität hängt viel mit Veränderung und Impulsen zusammen. Das lässt sich sehr gut in Flex Offices anbieten, in die man sofort einziehen kann und die man gegebenenfalls auch schnell wieder verlässt. So bleibt man dicht am Puls der Zeit: Ich miete mich dort ein, wo bestimmte Szenen aktiv sind, wo es die richtigen Leute zum Netzwerken gibt und wo ich Inspiration oder aktuelle Designtrends finde. Das lässt sich hervorragend mit kleinen agilen Entsendungen durchführen – was allerdings auch bedeutet, dass die Veränderung dann nur einen sehr kleinen Teil eines Unternehmens betrifft: Sichtbar und spektakulär zwar, in absoluter Größe aber nur ein Bruchteil der Gesamtbelegschaft. Eine grundsätzliche Auslagerung erkenne ich daher nicht, sondern vielmehr eine Erweiterung des Spektrums. Sprich Unternehmen geben einige Dinge nach draußen, holen aber gleichzeitig anderes wieder zurück ins eigene Haus.

Innovativ, gar disruptiv zu sein ist im Zeitalter der digitalen Transformation die große Verheißung. Aber gehen Unternehmen hier nicht mit der falschen Erwartung in den Flex Space? Der räumliche Wechsel allein dürfte doch kaum eine Unternehmenskultur grundlegend verändern.

Stephan Leimbach: In meiner Wahrnehmung empfinden die meisten Menschen „Disruption“ und „digitale Transformation“ eher als bedrohlich denn verheißungsvoll. Die Unternehmen müssen sich aber den technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen, um weiterhin erfolgreich zu sein. Und da die Veränderungen schneller geschehen als früher, müssen auch die Unternehmenskulturen agiler werden. Die Arbeitsumgebung ist dabei eine unterstützende Komponente, aber nicht mehr.

Marc Mauscherning: Der Kulturwechsel wird nicht allein durch räumliche Veränderungen gelingen. Räume und Design haben zwar positive und auch negative Einflüsse auf eine Unternehmenskultur, jedoch sind sie ein Teil eines größeren Ganzen. Wenn ich den Wandel möchte, muss ich am Ende des Tages alle Mitarbeiter erreichen. Die neue Arbeitsumgebung muss also den Menschen nähergebracht werden, nicht umgekehrt. Das bedeutet, ein Wechsel bei den Flächenkonzepten oder bei den Formen der Zusammenarbeit ist immer auch eine Herausforderung an Change Management und Kommunikation.

Eure persönliche Einschätzung: Wird der Coworking-Trend die Gestaltung traditioneller Büros verändern oder diese gar ersetzen?

Stephan Leimbach: Ich bin davon überzeugt, dass flexible Arbeitsräume zu einem festen Bestandteil der Arbeitswelten nahezu aller Unternehmen werden. Sie werden traditionelle Büros ergänzen, aber nicht ersetzen. Generell gilt, dass die Arbeitsumgebung zum konkreten Unternehmen, seinen Mitarbeitern sowie den Arbeitsabläufen und Aufgaben passen muss. Nur dann wird die Raumgestaltung akzeptiert und nur dann bringt sie Vorteile wie höhere Produktivität oder auch Mitarbeiterzufriedenheit. Das alles geschieht aber auch vor dem Hintergrund sich verändernder Rahmenbedingungen: Junge Menschen arbeiten anders als ältere. Projektarbeit und Zusammenarbeit über Bereichsgrenzen und Disziplinen hinweg nehmen zu. Das Büro wird zu einem Arbeitsort unter mehreren. Dadurch wandeln sich auch traditionelle Büros. Den dunklen Flur mit geschlossenen Türen zu Einzel- oder Doppelzimmern möchte doch heute schon fast niemand mehr. Diese Entwicklung wird voranschreiten. Viele Elemente des Flex Space finden ihren Weg in traditionelle Bürolayouts.

Marc Mauscherning: Auch wenn es abgedroschen klingt, ein „one size fits all“ gibt es einfach nicht. Jedes Unternehmen ist anders und muss seine Anforderungen und Bedürfnisse für sich selbst herausfinden. Gute Berater können mit dem Blick von außen dabei unterstützen. Das Positive am Trend zu mehr Flex Office-Angeboten ist, dass sich der Raum der Möglichkeiten stark vergrößert hat und somit alle Unternehmen ihren Platz finden können. Sei es nun mit etwas Flex Office für besondere Situationen, sagen wir weniger als 5 Prozent des Gesamtflächenanteils, oder als fester Bestandteil von 20 bis 30 Prozent eines ganzen Büroportfolios.


Wie geht es weiter mit dem Trendmarkt Flex Space?

Flexible Büroflächen haben sich vom Startup- und Freelancer-Thema zu einem der aktuell dominierenden Trends bei den Gewerbeimmobilien entwickelt. Informieren Sie sich auf unserer Flex Space-Seite darüber, wie der derzeitige Markt in Deutschland und Europa aussieht, wie sich neue Arbeitswelten etablieren – und wie Unternehmen die neuen Flächenkonzepte aufgreifen.