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Das Büro muss zur Arbeit verführen

Inspirierende Flächen werden wieder Leben ins Büro bringen. Der Arbeitsplatz in der Firma hat gewaltige Konkurrenz bekommen und muss jetzt seine Stärken ausspielen.

12. Oktober 2020

Das Büro hat eine Zukunft, aber sie wird vielfach ganz anders aussehen als das früher Gewohnte. Die Selbstverständlichkeit des festen Arbeitsortes ist auf dem Prüfstand. Die Bürofläche steht in der Work from Anywhere-Welt künftig in starker Konkurrenz mit alternativen Arbeitsorten - und muss Beschäftigte zur Nutzung regelrecht umwerben.

Die Pandemie ist nur Beschleuniger dieses Trends, wenn auch ein ausgesprochen heftiger. Kaum ein Bürobetrieb ermöglichte nicht in der ein oder anderen Form Remote Working, manche zeitweise sogar vollständig. Und das gelang für viele Unternehmen überraschend erfolgreich. Selbst wenn die Gesundheitskrise komplett überwunden sein wird, einfach zurück zum Alten dürfte nicht mehr funktionieren. Remote Working bleibt ein fester Bestandteil der Büroarbeitswelt. Aber eben nur ein Teil, denn nur die wenigsten Beschäftigen wollen komplett auf die eigenen vier Wände als Arbeitsstätte umsteigen. „Laut unserer Umfrage vermissen 44 Prozent der Befragten den Austausch und das Miteinander. Der persönliche Dialog macht das Büro besonders und kann nicht durch digitale Kommunikation ersetzt werden“, gibt etwa James Brown, JLL-EMEA-Chefresearcher, zu bedenken. Und 29 Prozent der Befragten schätzten die Trennung von Arbeit und Privatem, die das Büro besser ermöglicht.

Büroflächen werden zu Inspirationsstätten

Doch diesem zentralen Arbeitsort stehen große Veränderungen bevor, schon allein, um den generellen Trends der Arbeitswelt zu folgen. „Die Art der Zusammenarbeit wird sich hin zu weniger Hierarchie und mehr Teamarbeit entwickeln. Dafür braucht ein Unternehmen geeignete Arbeitsplätze, die mehr Raum für Innovation und Inspiration bieten“, erwartet zum Beispiel Gero Bergmann, Vorstand der Berlin Hyp. Seine Erfahrung aus der Pandemie: Kreative, strukturierte Zusammenarbeit funktioniere im Home Office schlichtweg nicht gut. Das Büro stärkt also vor allem die Kollaboration und fördert innovative Ideen im sozialen Austausch. Diesen Vorteil muss die Office-Fläche jetzt weiter ausbauen, inspirierende Räume statt isolierender Zellen oder seelenloser Großraumkonglomerate.

Es geht zukünftig um die Ausrichtung des Büros als Ort der Zugehörigkeit und des Austauschs - ein Ort, der Kreativität, Kollaboration ermöglicht und vor allem Identität stiftet. 

Sabine Eckhardt, CEO Central Europe, JLL

Ähnliche Erfahrungen hat auch Hines-Geschäftsführer Christoph Reschke gemacht. Zwar gebe es Tätigkeiten, die man problemlos aus dem Home Office erledigen könne, doch Inspiration gebe es dort wenig. Entsprechend sieht er die Zukunft des Büros in der Dezentralität. Das Konstrukt des stationären Büros wird ergänzt um Remote Working und Satellitenbüros in den Vorstädten. In Einzelfällen könnten Unternehmen sogar völlig auf den zentralen Anker im Headquarter verzichten und selbst über internationale Grenze hinweg im rein virtuellen Raum operieren - wenn es zu ihrem Geschäftsmodell passt.

Digitale Möglichkeiten sind längst nicht ausgeschöpft

Je weiter die Zentralität der Büroarbeit wegfällt, umso mehr rücken die digitalen Möglichkeiten und Hilfsmittel in den Fokus. Nach der Einschätzung von Raphael Gielgen, Trendscout Future of Work bei Vitra, haben wir diese Optionen noch längst nicht ausgeschöpft. Das Potenzial synchroner, digitaler Arbeitsmittel werde nicht umfänglich genutzt. Impulse sieht er zum Beispiel in der Internet-Streamer und Gaming-Kultur, wo virtuelle Räume und Kooperationen weit fortgeschrittener seien als in der Arbeitswelt. Entsprechend ist er überzeugt: „Die zukünftige Qualität der Arbeit in den Büros muss es mit der virtuellen Welt aufnehmen können.“

Echte Agilität durch revolutionäre Flächenkonzepte

Was bedeutet diese Revolution der Arbeitswelt nun für das Büro als Immobilie? Vor allem gibt es ganz neue Ansprüche an die Qualität der Flächen. Klassische Büroeinheiten werden immer weniger gefragt sein, stattdessen benötigt die Teamarbeit von morgen offene Begegnungsräume bis hin zur Synthese von inneren Flächen und jenen im Freien. Die Mobilität der Beschäftigten innerhalb der Immobilie wird zum Ausdruck und Förderer geistiger Beweglichkeit. So schafft der Büroraum echte Agilität, die sich weniger in Methoden als in einer neuen inneren Haltung manifestiert.

Die triste Aktenstube war schon zuvor auf dem Rückzug, die Pandemie hat ihr den Todesstoß versetzt. In Zukunft ist das Office-Headquarter ein Anker der Inspiration und des kreativen sozialen Austauschs. Es ist das vitale Zentrum eines Netzwerks von Satellitenstandorten und Remote Working-Konzepten. Die Büroimmobilie verliert damit nicht an Bedeutung, ganz im Gegenteil, ihr steht ein revolutionärer Neuanfang bevor.